AAEL – Ambidextrous Agile Educational Leadership.
Ein Rahmenwerk für die gemeinsame Gestaltung von (Hochschul-) Bildung in der Post-Digitalität
Verortung und Einordnung
AAEL ist eine spezifische Auffassung und Praxis von Leadership im Bildungsbereich im Bezugsrahmen von Agilität und Ambidextrie, um unter dynamischen und mitunter krisenhaften Rahmenbedingungen agil und souverän handlungsfähig zu bleiben.
Das Rahmenwerk AAEL – Ambidextrous Agile Educational Leadership für die gemeinsame Gestaltung von (Hochschul-)Bildung in der Post-Digitalität (kurz: AAEL-Rahmen) – bisher benannt als Rahmenwerk Agile Educational Leadership bzw. AEL-Rahmen 1.0 – entsteht seit 2020 iterativ und inkrementell. Es wird bis auf Weiteres unter der bisher bekannten URL https://agile-educational-leadership.de frei und offen publiziert. Das transdisziplinäre Rahmenwerk AAEL ist dynamisch zu verstehen und entwickelt sich mit zunehmender empirischer Fundierung kontinuierlich weiter zu einer nächsten, mit Blick auf die Passung zum Anwendungskontext (Hochschul-) Bildung, verbesserten Version.
Der AAEL-Rahmen schließt an vorangegangene Forschungsarbeiten, Entwicklungsprojekte und Transferaktivitäten von Prof. Dr. Kerstin Mayrberger an. Ihm zugrunde liegt demnach als Kontext im weiteren Sinne die Rolle und Gestaltung von Umgebungen und Rahmenbedingungen für ein partizipatives, offenes sowie vernetztes Lernen unter den Bedingungen der digitalen Transformation und in der Digitalität1. AAEL erweitert diese Perspektive durch Adaption der Konzepte von Agilität und Ambidextrie auf den Bildungsbereich. Und bezieht sich explizit auf die Gestaltung von (Hochschul-)Bildung als Umgebung für Lernen und Bildung in der (Post-)Digitalität im weiteren Sinne als Ganzes, d.h. über alle Ebenen hinweg als Zusammenspiel von Mikro‑, Meso- und Makroebene.
Zur besseren Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit wird das AAEL-Rahmenwerk an dieser Stelle als integriertes Ganzes seiner wesentlichen Teile beschrieben und visualisiert. Dieses Kapitel gibt also einen funktionalen Überblick in Form einer eigenständig lesbaren Kurzversion, die die wesentlichen theoretischen wie handlungsorientierten Elemente des AAEL-Rahmens in komprimierter Form beschreibt und argumentiert. Auf diese Weise soll hier sowohl ein erster wie auch erleichterter Zugang zum AAEL-Rahmenwerk ermöglicht werden.
Der Fokus der Kurzversion liegt also auf einer prägnanten Darstellung der zentralen Inhalte. Wer tiefer einsteigen möchte, findet inhaltliche Einordnungen, Auswahlbegründungen und berücksichtigte Quellen in den weiterführenden Kapiteln dieses AAEL-Online-Buches. Auch diese werden weiterhin fortlaufend ergänzt und aktualisiert.
Das Rahmenwerk AAEL lässt sich im Wesentlichen entlang spezifischer Elemente kompakt darstellen, die in den Vertiefungskapiteln ausführlicher beschrieben zu finden sind. Diese liefern zugleich auch Gründe dafür, wieso es unter den derzeitigen Bedingungen sinnvoll erscheint, ein Rahmenwerk wie AAEL als lösungsorientierten Weg zur gemeinsamen Gestaltung von Veränderungen für eine zukunftsfähigen (Hochschul-)Bildung in der Post-Digitalität anzubieten.
Die Motivation für die Entwicklung dieses Rahmenwerks über die letzten Jahre speist sich vor allem aus dem beobachteten Umgang mit den krisenhaften Situationen in dieser Zeit, der Herausforderung die die digitale Transformation seit Jahrzehnten darstellt sowie die Perspektive nach vorne auf Komplexität und Wandel als alltägliche Kontextbedingungen für diejenigen, die Bildung gestalten und den Bildungsauftrag für die nächste Gesellschaft erfüllen sollen. So zielt Ambidextrous Agile Educational Leadership für die gemeinsame Gestaltung von (Hochschul-)Bildung in der Post-Digitalität (AAEL) darauf ab, konzeptionell werte- und handlungsorientierte Prinzipien zu beschreiben und miteinander in Verbindung zu bringen, die einen stimmigen Weg anbieten, um die Rahmenbedingungen für Bildung im alltäglichen Wandel gemeinsam besser zu gestalten und darin miteinander agieren zu können. Damit ist der Anspruch verbunden, personale wie organisationale und gar politische Akteur_innen in die Lage zu versetzen, Bedingungen zu schaffen, um gegenwärtige Bildung mit Blick auf potenziell kommende An- und Herausforderungen trotzdem stetig verbessern und souverän mitentwickeln zu können. Dabei wird neben anderen gesellschaftlichen Transformationsprozessen insbesondere die digitale Transformation als Kontextbedingung betrachtet und herausgestellt, die veränderte Rahmenbedingungen, Interaktions- und Lernformate und Perspektiven auf Bildung in der Post-Digitalität mit sich bringt.
Dabei ist zu betonen, dass sich die Umsetzung und Ermöglichung eines AAEL gleichermaßen an Personen wie Organisationen in der (Hochschul-)Bildung richtet und konsequenterweise auch Politik und gesellschaftliche Bedingungen für Bildung mitberücksichtigt. Entsprechend adressieren die Merkmale von AAEL immer alle Akteur_innen sowie Ebenen, also Mikro‑, Meso- und Makroebene, im System von (Hochschul-)Bildung.
AAEL-Visualisierung
Die nachfolgende Visualisierung bildet die Elemente der aktuellen Version AAEL 2.1 abstrakt ab und kontextualisiert ihre Bedeutung im Rahmen von AAEL hier in der gebotenen Kürze.

Abbildung: Visualisierung zum Rahmenwerk AAEL – Ambidextrous Agile Educational Leadership für die gemeinsame Gestaltung von (Hochschul-)Bildung in der Post-Digitalität, Version 2.1
Die Visualisierung ist in Anlehnung an einen Baukasten entwickelt worden. In dem gegebenen Rahmen (der Post-Digitalität) befinden sich farbige Einzelbausteine, die gemeinsam den Raum innerhalb des Rahmens ausfüllen. Es wurden Bausteine mit Ecken und Kanten in unterschiedlichen Formen gewählt, die sich auf mehr als eine Art zu einem Ganzen zusammenfügen lassen und so miteinander in jedem Fall anschlussfähig sind. Man kann sich hier dreidimensionale, bewegliche Elemente vorstellen.
Die gewählten Farben und Formen weisen auf direkte Zusammenhänge oder Alleinstellung hin. Sie werden zur besseren Orientierung für den Praxistransfer auf (Hochschul-)Bildung mit ihren Methoden und Praktiken wieder aufgegriffen. In der Visualisierung stehen die jeweiligen Bausteine für die thematischen Elemente, die gemeinsam den AAEL-Rahmen modellieren und füllen.
Nachfolgend werden diese Bausteine kurz einzeln beschrieben und eingeordnet sowie zur weiteren Vertiefung der Verweis auf das jeweilige Vertiefungskapitel gegeben. Dabei wird in der vorliegenden Variante einer deduktiven Darstellung vom Allgemeinen zum Konkreten gefolgt. Das meint hier von der Post-Digitalität als Kontext über die zentralen namensgebenden Konzepte bis hin zu einer sich emergent entwickelnden AAEL-Kultur im Zentrum.
Post-Digitalität
Post-Digitalität ist in dieser Visualisierung als derzeit primäre Herausforderung und wichtiges Bezugsfeld für Bildung die Grundfläche der gesamten Grafik. Sie liegt wie eine Folie hinter den übrigen Bausteinen und kann bildlich auch als Kasten des Baukastens verstanden werden. Hier ist das Rahmenwerk entsprechend der Titelgebung sinnbildlich in der Digitalität eingebettet und kontextualisiert. Post-Digitalität steht für das Digitale und den derzeitigen kulturellen Zustand des digitalen Wandels als die vielfach thematisierte Kontextbedingung für (Hochschul-)Bildung in der eher technologisch zu verstehenden digitalen Transformation. Weil Post-Digitalität derzeit wiederholt als zentrale Kontextbedingung und gesellschaftlichen Herausforderung für (Hochschul-)Bildung thematisiert wird und sie zugleich tiefgreifend gesellschaftlichen Wandel prägt, bildet sie derzeit die zentrale Kontextbedingung für den AAEL-Rahmen2
Ambidextrous, Agile, Educational, Leadership
Die namensgebenden konzeptionellen Elemente des Rahmens AAEL sind Ambidextrous, Agile, Educational und Leadership.Es wird hier die englische Bezeichnung bevorzugt, weil sie neben internationaler Anschlussfähigkeit an bestehende Diskussionen auch die Verwendung von Begriffen im weiteren Verständnis ermöglicht. Diese vier konzeptionellen Elemente sind durch vier verschieden farbige Rechtecke visualisiert, die selbst wiederum als Einfassung für die nächsten inneren Bestandteile des hier als Baukasten visualisierten Rahmenwerks gesehen werden können.
Der Baustein Ambidextrous ((siehe ausführlicher zu Formen von personaler und organisationaler Ambidextrie im entsprechenden Vertiefungskapitel hier im AAEL-Buch 1.0)) steht für eine zielgerichtete Erkundung von dem nächsten sinnvollem Schritt in Form von gleichzeitiger Optimierung von Bewährtem und Erprobung, Entwicklung und Entdeckung von Neuem in Form einer integrierenden und ausbalancierenden Perspektive auf Wandel. Der nächste Baustein Agile ((siehe ausführlicher zu Agilität und Agilität im Bildungsbereich im entsprechenden Vertiefungskapitel hier im AAEL-Buch 1.0)) weist auf den Prozess der schrittweisen, lernenden Anpassungsbereitschaft an komplexe, dynamische Kontexte hin, wie es auf (Hochschul-)Bildung zutrifft. Ambidextrie und Agilität lassen sich in dieser Logik durchaus auf vielfältige Bereiche anwenden. In diesem Beitrag steht mit dem Baustein Educational ((siehe ausführlicher zum Fokus auf Bildung und ihre Relevanz zukunftsorientierte Handlungsfähigkeit im Wandel im entsprechenden Vertiefungskapitel hier im AAEL-Buch 1.0)) allein der (Hochschul-) Bildungsbereich mit seinen Besonderheiten im Fokus. Er wird daher mit Educational umschrieben, um über Lehre und Lernen hinaus zu verdeutlichen, dass Bildung im weiteren Sinne, mindestens im strukturellen, personalen, kulturellen und politischen Kontext betrachtet gehört, um nachhaltig zu gelingen. Der vierte rechteckige Baustein Leadership ((siehe ausführlicher zum Verhältnis von Management und Leadership sowie Formen von Leadership im entsprechenden Vertiefungskapitel hier im AAEL-Buch 1.0)), das auf die Ermöglichung (Eigen-)Verantwortung und Leadership zu übernehmen bzw. übernehmen zu können abzielt, adressiert in einem die Ebenen übergreifendem Verständnis von Professionalität, das Subjekt oder die Personen in ihren jeweiligen Handlungsbereichen und Rollen innerhalb organisatorischer Strukturen und institutioneller Bedingungen von Bildung. Diese vier Elemente lassen sich transdisziplinär verbinden.
Umrundet von diesen vier Bausteinen Ambidextrous, Agile, Educational und Leadership, finden sich weitere Elemente. Diese adressieren den Entwicklungs- und Handlungsraum der Akteur_innen einschließlich Prinzipien und Werten, wie auch die Emergenz einer spezifischen Kultur im Rahmen von AAEL. Im Einzelnen sind das die folgenden Elemente in Form von Bausteinen bzw. die Baustein-Gruppe:
Personen, Being, Organisation, Doing
Das Zusammenspiel von Personen mit ihrer Persönlichkeit und Haltungen sowie Organisationen mit ihren Regeln und Strukturen einerseits und einem AAEL Doing und Being andererseits, wird in diesem Baukasten als vier gleichwertige und gleichfarbige Dreiecke dargestellt. Sie bilden zusammen selbst ein inneres Quadrat und formen so die Mitte des Baukastens innerhalb der konzeptionellen Elemente AAEL. Die vier Elemente Personen, Being, Organisation und Doing werden im Rahmen von AAEL als die wesentlichen Entwicklungs- und Handlungsräume der Akteur_innen begriffen3.
Doing und Being wie auch ihr Zusammenspiel mit Personen und Organisation sind nur begrenzt festschreibbar, weil sie sich im Handeln über Methoden und Praktiken (neu) ausbilden und im Zuge von persönlichen Reflexions- und erfahrungsbasierten Wachstumsprozessen (weiter) entwickeln. Sie stehen in diesem Rahmen gemeinsam für eine spezifische Praxis im Handeln und Sein einer Person in und mit der Bildungsorganisation entlang geteilter Ziele oder auch einer Vision, jeweils mit ihrer Geschichte und Zukünften.
Werte, Prinzipien
In der Mitte der Visualisierung stehen spezifische AAEL-Werte und ‑Prinzipien in Form zweier gleichfarbiger, sich zu einer Raute ergänzenden Dreiecken. Werte und Prinzipien ergeben sich beide aus dem Kontext Post-Digitalität und den konzeptionellen Elementen von AAEL. Beide eint, dass sie von den Personen im Zusammenspiel mit ihrer Organisation und deren Bildungsauftrags entwickelt. festzuschreiben und wo nötig spezifisch zu verhandeln sind, um geteilt werden zu können. Anstelle eines statischen Regelwerks bilden sie im Wechselspiel zwischen Being AAEL und Doing AAEL für alle Akteur_innen situative und kontextabhängige Leitplanken im alltäglichen Handeln in der Komplexität von Bildung. Sie sind daher als Kern innerhalb der Raute platziert und bilden dort wiederum selbst den Rahmen für den letzten, zentralen Baustein (siehe ausführlicher weiter unten in dieser Kurzfassung).
Kultur
In der Visualisierung befindet sich mit der Kultur ein Quadrat im Zentrum des Baukastens. Im Zusammenspiel der bisher benannten Bausteine kann sich über die Zeit im Anschluss an die jeweils bestehende Kultur als je spezifische Ausgangslange einer Bildungsorganisation eine passende Kultur im Rahmen von AAEL (kurz AAEL-Kultur) emergent zeigen und (weiter-) entwickeln, die hier als gemeinsam zu verhandelnde, tragfähige und dynamische Basis für einen langfristigen Kulturwandel von (Hochschul-)Bildung gesehen und als solche benannt wird.
AAEL-Spielregeln
Für den AAEL-Rahmen wird auf das Bild eines Baukastens zurückgegriffen und nachfolgende Ausführungen lassen sich entsprechend als eine Art Spielregeln4 für ein potenziell gelingendes Zusammenspiel von den und im Umgang mit den einzelnen Bausteinen und ihr Verhältnis zueinander lesen.
Jeder Baustein zählt!
Zu diesen Spielregeln gehört, dass trotz Flexibilität und Anpassungsfähigkeit jeder Baustein einem bestimmten Zweck dient und seinen Wert im Gefüge des AAEL-Konstrukts hat, damit AAEL sich als Ganzes stimmig entwickeln kann.
Die oberste Spielregel ist daher, keinen der Bausteine völlig zu ignorieren und sich gleichermaßen bewusst mit allen Perspektiven – jeweils mit unterschiedlicher Gewichtung – systemisch zu beschäftigen. Im Sinne eines Baukastens und ähnlich eines Tangram-Spiels5 gilt es bei jeder „Figur“ oder jeder neuen Iteration sinnbildlich und ganz konkret alle Teile miteinander zu verbauen und miteinander zu bedenken.
Den AAEL-Kern nur teilweise anzunehmen oder Bausteine komplett wegzulassen („Cherrypicking“) könnte dazu führen, sich nicht allen in AAEL adressierten Fragen und Themen zu stellen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Ein absichtliches Weglassen trägt im Zweifel eher zum Misslingen von AAEL bei.
Gemeinsam gewinnen!
Denn der AAEL-Rahmen ist kein Rezept und keine kleinschrittige Anleitung, die gleichermaßen der eine Weg oder die eine passende Lösung für alle ist und nach Plan abgearbeitet werden kann. Vielmehr bietet der AAEL-Rahmen Bausteine an, die in einem gemeinsamen, dynamischen Zusammenspiel von Akteur_innen in der jeweiligen Bildungsorganisation mit Blick auf die nächsten, zukünftigen Entwicklungsschritte, ein passendes, stimmiges Ganzes ergeben. Der AAEL-Rahmen setzt immer an dem an, was bereits da ist in der Organisation und bei den Personen. Wichtig für AAEL ist eine gemeinsame personale und organisationale Bereitschaft, sich auf Veränderung in Form eines fortwährenden Lernprozesses oder einer Lernreise einzulassen. Um im Bild des Baukastens zu bleiben, eine Reise während der durch Erprobung und Feedback alle die Möglichkeit haben und erhalten, die Bausteine immer wieder anzufassen und mit- und umbauen zu können.
Was nicht passt, wird nicht passend gemacht!
Ist eine gemeinsame Verständigung über das Zusammenspiel der Bausteine von AAEL klar nicht möglich, ist es besser für die weitere Entwicklung einen anderen Ansatzpunkt als Weg zu wählen und zu verfolgen. Insofern kann ein begründetes oder absichtliches Weglassen oder Vermeiden von Bausteinen im AAEL bereits ein erster Entwicklungsschritt für einen alternativen Weg sein, einen Umgang mit Wandel und Veränderung für die jeweilige Bildungsorganisation zu finden. Dann passt AAEL hierfür nicht.
AAEL-Werte
AAEL ist als primär werte- und prinzipienbasiertes Rahmenwerk zu verstehen, um in komplexen Situationen, wie sie im (Hochschul-)Bildungsbereich alltäglich sind, entlang diesen individuell wie auch gemeinsam abgestimmt selbstständig entscheiden und werteorientiert handeln zu können, um einer Beliebigkeit entgegen zu wirken. Diese Grundidee eines Handlungsrahmens, der über spezifische Werte und Prinzipien hinweg aufgespannt wird, wurde aus dem Kontext Agilität für den Bereich (Hochschul-)Bildung mit dem AAEL-Rahmen adaptiert.((In Anlehnung an das Agile Manifest wird hier die Idee einer grundlegenden Orientierung an Werten und für das Miteinander auf Bildung und AAEL adaptiert.))
Werte im AAEL-Rahmen zu benennen ist zweischneidig. Denn nur als von allen Akteur_innen akzeptierte, geteilte Werte als Basis für den gemeinsamen Handlungsprozess ergeben Sinn und Vertrauen und können zugleich nicht einfach verordnet werden. Es bleibt also die Aufgabe, Werte von Beginn als Ergebnis von ständiger Verständigung und wertschätzender Aushandlung zu begreifen. Mit Blick auf Agilität lässt sich folgern, dass ein Konsent als demokratische Mitbestimmungsform über die gemeinsame Wertebasis bereits eine tragfähige und sinnvolle Zusammenarbeit ermöglichen kann. AAEL-Werte sind also in ihrer jeweiligen Form immer nochmals Gegenstand von Verhandlungen in den jeweiligen Bildungsbereichen, um eine gemeinsame Basis zu schaffen. Der AAEL-Rahmen steht damit für eine demokratische Grundüberzeugung. Es geht dabei um gegenseitige Ermöglichung tatsächlicher Partizipation, Bereitschaft zur Selbstorganisation und Verantwortungsübernahme in einem vertrauensvollen Rahmen trotzdem allen Beteiligten bekannt ist, dass in der (Hochschul-)Bildung traditionell Macht anders verteilt ist.((siehe zur Ausdifferenzierung zu Formen partizipativer Gestaltung von Umgebungen für gemeinsames Lernen vorangegangene Arbeiten unter: https://partizipative-mediendidaktik.de.))
Aus diesem Grund werden im AAEL-Rahmen Vertrauen und Verantwortung als zentrale Werte betrachtet und herausgehoben.
Vertrauen
… weil im Vertrauen die Basis für eine gelingende Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung liegt und die Beziehungen und (psychologische) Sicherheit stärkt. Vertrauen zueinander und untereinander — sowie in formale, strukturelle, rechtliche und soziale Rahmenbedingungen — steckt als Bedingung und Folge in allen anderen Werten. Denn Vertrauen lässt sich nicht verordnen, man erwirbt es in der verantwortungsvollen Zusammenarbeit miteinander, verstärkt es und kann es genauso wieder verlieren.
Verantwortung
…weil das Übernehmen und Abgeben Können und Wollen von Verantwortung für partizipative (Lern-)Prozesse auf allen Ebenen, gemeinschaftliche Arbeitszusammenhänge und für funktionierende Selbstorganisation in Gruppen, Teams und Organisationen grundlegend ist. Verantwortung bedeutet auch das langfristige Engagement für nachhaltige Bildungsprozesse und die Bereitschaft, die Auswirkungen des eigenen Handelns in der Bildung in der Post-Digitalität kritisch zu reflektieren.
Ebenso relevante Werte als Basis für ein AAEL und seinen Prinzipien als zukunftsorientiertes Leadership im Bildungsbereich im Bezugsrahmen von Agilität und Ambidextrie sind die Folgenden:
Mut
…weil AAEL dazu einlädt mutig zu sein und sich darauf einzulassen mit Blick auf eine ungewisse Zukunft im Handeln Risiken einzugehen und Veränderungen als langfristigen Prozess trotz Ungewissheiten proaktiv anzugehen. Mut umfasst auch die Bereitschaft, zügiges Erproben und Fehler als Lernchancen zu sehen und ein Umfeld zu schaffen, in dem innovative Ideen getestet und Risiken eingegangen werden können. AAEL unterstützt die Bereitschaft zur Innovation und zur Bewältigung von Unsicherheiten in komplexen Situationen.
Offenheit
…weil AAEL von persönlicher Offenheit und offenen Strukturen lebt und der Bereitschaft zur Transparenz und einem freien Austausch von Materialien, Informationen und Ideen im weiteren Sinne einer Open Educational Practice (OEP). Offenheit bedeutet auch, kontinuierlich neue Erkenntnisse und technologische Entwicklungen zu integrieren und sich persönlich ebenso wie die (Hochschul-) Bildung ständig weiterzuentwickeln und somit flexibel auf neue Herausforderungen und Chancen zu reagieren
Respekt
…weil es in einem AAEL darum geht Respekt gegenüber den Menschen zu haben und in der Zusammenarbeit die Beiträge und Perspektiven aller Beteiligten anzuerkennen und wertzuschätzen – und mit Respekt gegenüber der Person Feedback zu geben. Respekt bedeutet insofern, mit allen Akteur_innen und Perspektiven auf Augenhöhe zu interagieren und sicherzustellen, dass alle Stimmen gehört und wertgeschätzt werden.
Diversität
…weil AAEL bewusst die Möglichkeiten jenseits von Dualitäten im Dazwischen und Außerhalb sucht und der Rahmen mit Blick auf Diversität in der Bildung in der Post-Digitalität entsprechend diklusive und inklusive Perspektiven und Hintergründe integriert, um eine passende zukunftsfähige Bildung für alle zu gestalten. Diversität ist somit ein kontinuierlicher rahmender Prozess, der aktiv gepflegt und gefördert werden muss, um ein inklusives Umfeld zu schaffen.
Feedback
…weil konstruktives Feedback schnelles Lernen im Sinne von Outcome mit Blick auf die Erreichung des Ziels motiviert und persönliches Wachstum innerhalb der Organisation fördert. Feedback ist sowohl in formativem als auch in summativem Sinne wichtig, um kontinuierliches Lernen und die Erreichung von Zielen zu fördern.
Engagement
…weil der AAEL-Rahmen vor allem auf die Bereitschaft und (Selbst-)Verpflichtung zur Erreichung gemeinsamer Ziele angewiesen ist, um Bildung durch schnelles Feedback kontinuierlich zu verbessern. Engagement erfordert eine Balance zwischen individueller Verantwortung und kollektiver Verpflichtung zur iterativen Erreichung gemeinsamer Ziele. Für Ziele wie Prozessgestaltung braucht es ein verlässliches Commitment.
Fokus
…weil in der Komplexität von Bildung Fokus und die Konzentration auf die jeweils nächste Aufgabe wichtig ist. Fokus bedeutet insofern, klare Ziele und Zwischenziele zu setzen und diese konsequent zu verfolgen und beim zielgerichteten Gehen der nächsten Schritte motiviert wie auch effizient und effektiv bleiben zu können.
Kommunikation
…weil Kommunikation besonders in der Post-Digitalität in allen ihren Formen verbaler, wie auch nonverbaler und digitaler Kommunikation essenziell für die Koordination und den stetigen Austausch zwischen Personen, innerhalb von Teams und Organisationen ist, um Bildung gemeinsam stetig besser zu machen.
AAEL-Prinzipien
Das Rahmenwerk AAEL ist kein kleinteiliges Regelwerk und auch keine schritt- oder phasenweise Anleitung. Vielmehr stellt es entlang der konzeptionellen Elemente zentrale Prinzipien auf. Die AAEL-Werte und ‑Prinzipien sollen zusammen eine Grundlage für eine kooperative, innovative und nachhaltige Gestaltung von (Hochschul-)Bildung schaffen. Sie zielen auf die Machbarkeit einer Umsetzung von AAEL in der Praxis ab und sind für das gemeinsame Verhalten als weg- und handlungsweisend zu verstehen6.
So sind die nachfolgenden AAEL-Prinzipien essenzielle, wertbasierte Leitlinien, die Handlungen und Entscheidungen strukturieren, situativ Flexibilität wie auch Anpassungsfähigkeit fördern und inter- wie transdisziplinär anwendbar sind. Diese Prinzipien bieten im Sinne eines zukunftsorientierten Leaderships im Bildungsbereich im Bezugsrahmen von Agilität und Ambidextrie in diversen Situationen eine Orientierung und eine Basis für koordiniertes und kohärentes persönliches und kollektives Handeln beispielsweise im Team, in Abteilungen wie über alle Ebenen hinweg.
In der Zusammenschau ergeben sich so für die Version 2.1 des AAEL-Rahmens die folgenden Handlungsprinzipien:
Wertebasiertes Agieren für eine zukunftsfähige Hochschulbildung.
Das Handlungsprinzip des wertebasierten Agierens im Rahmen von AAEL zielt darauf ab, in der Hochschulbildung eine Kultur zu ermöglichen, die durch geteilte Werte und Prinzipien getragen wird. Dies schafft eine vertrauensvolle, respektvolle und innovative Umgebung, die partizipatives Lernen und Selbstorganisation fördert. Durch die Betonung von Verantwortung, Vertrauen, Mut, Offenheit, Respekt, Diversität, Feedback, Engagement, Fokus und Kommunikation wird eine nachhaltige und zukunftsfähige Bildung gemeinsam gestaltend ermöglicht
Selbstverständliche Post-Digitalität
Das Handlungsprinzip der selbstverständlichen Post-Digitalität zielt darauf ab, die Hochschulbildung so zu gestalten, dass sie souverän sowohl im Analogen als auch im Digitalen stattfindet. Der AAEL-Rahmen geht von einer allgegenwärtigen Medialität und einer tiefgreifend mediatisierten Gesellschaft aus. In dieser ist Digitalität als kulturelle Handlungsbedingung für Interaktion und Kommunikation in der digitalen Transformation integriert. Die post-digitale Perspektive auf Bildung erkennt die alltägliche Durchdringung der Digitalität an und strebt danach, eine flexible, resiliente und nachhaltige Bildungslandschaft zu schaffen, die den Herausforderungen und Bedürfnissen einer demokratischen Gesellschaft entspricht.
Überbrückung der Dualität von Exploration und Exploitation
Das Handlungsprinzip der Überbrückung von Dualität zielt in Bildungsorganisationen und im Bildungsbereich allgemein einschließlich Hochschulbildung darauf ab eine Kultur zu stärken, die sowohl Risikobereitschaft und Kreativität als auch Effizienz und optimierte Routinen gleichermaßen wertschätzt und fördert. Eine solche Kultur ermöglicht es, flexibel und souverän zwischen neuen Ansätzen und bestehenden Prozessen zu navigieren und sich an wechselnde Bedingungen anzupassen. Diese Kultur unterstützt individuelle Initiativen und Selbstorganisation sowie systematische Effizienz und optimierte Routinen, um sowohl persönliche als auch institutionelle Entwicklung nachhaltig zu fördern. Durch die Integration organisationaler und individueller Ambidextrie werden sowohl die proaktive Gestaltung von (Hochschul-)Bildung ermöglicht als auch die situative Anpassungsfähigkeit, Entwicklungsfähigkeit und Innovationsfähigkeit von Bildungseinrichtungen und Bildung im weiteren Sinne in einer schnelllebigen, komplexen und unsicheren Welt gestärkt.
Souveräne Agilität im Bildungsbereich
Das Handlungsprinzip der souveränen Agilität zielt darauf ab, (Hochschul-)Bildung so zu gestalten, dass (Hochschul-)Bildungsorganisationen Entwicklungsanforderungen und Veränderungen von außen wie innen souverän begegnen können und so Komplexität agil in angemessener Qualität bewältigen kann. Dies gilt sowohl im Modus der Exploitation (Optimierung und Effizienz bestehender Prozesse) als auch in dem der Exploration (Neues und Innovationen). Eine agile Bildungsorganisation zeichnet sich durch Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und eine kontinuierliche Lern- und Verbesserungsbereitschaft aus. Agilität ermöglicht es, schnell und effektiv auf neue Herausforderungen zu reagieren und gleichzeitig stabile und effiziente Prozesse zu erhalten. Agile Zusammenarbeit in der einzelnen Bildungsorganisation setzt auf agile Werte, wie sie in den AAEL-Werten integriert sind.
Gesellschaftliche Verantwortung und Bildungsauftrag
Das Handlungsprinzip der gesellschaftlichen Verantwortung und des Bildungsauftrags zielt darauf ab, die Rahmenbedingungen für (Hochschul-)Bildung so zu gestalten, dass sie sowohl die Persönlichkeitsentwicklung und die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung fördern als auch grundlegende Bildungsaufgaben erfüllt werden können. Bildung trägt zur Entwicklung einer kritischen, wertebasierten und demokratischen Gesellschaft bei. Eine strategisch sinnstiftende Ausrichtung durch eine gemeinsame Vision für eine vernetzte (Hochschul)-Bildung stärkt das Verständnis für den Bildungsauftrag, der Werte und Prinzipien für das gemeinsame Handeln prägt.
Integriertes Leadership im Bildungsbereich
Das Handlungsprinzip eines integrierten Leaderships meint, Leadership in der Hochschulbildung als eine Variante transformationalen Leaderships auszugestalten. Dazu gehört mit Blick auf Partizipation und Selbstorganisation sowohl die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit agilen Leaderships als auch die gleichzeitige Optimierung und Innovation ambidextren Leaderships zu integrieren. Dafür braucht es eine übergreifende Leadership-Kultur, die die Eigenverantwortung und Selbstorganisation aller Akteur_innen gleichermaßen fördert und einen Brückenschlag zwischen Leadership in traditionellen wie modernen Organisationsstrukturen ermöglicht. Personen die Leadership im Sinne des AAEL-Rahmens übernehmen wollen und können, agieren u.a. mit coachender Haltung, um Personen, Gruppen oder Teams zu unterstützen, zu inspirieren und zur Übernahme von Verantwortung zu ermutigen. Eine solche partizipative Leadership-Kultur kann zur kontinuierlichen Entwicklung und zum gemeinschaftlichen Engagement beitragen und die Hochschulbildung umfassend stärken, sowohl den komplexen und dynamischen Anforderungen der modernen Gesellschaft gerecht zu werden als auch sich gemeinsam gestaltend weiterzuentwickeln.
Fazit
AAEL ist eine spezifische Auffassung und Praxis von Leadership im Bildungsbereich im Bezugsrahmen von Agilität und Ambidextrie, um unter dynamischen und mitunter krisenhaften Rahmenbedingungen agil und souverän handlungsfähig zu bleiben.
Das langfristige Ziel ist es über eine stetige AAEL-Praxis in eine souveräne, gemeinsame Umsetzung von Zielen für Bildung in ihrer Komplexität in der Post-Digitalität zu kommen, so dass eine spezifische AAEL-Kultur in relativer Ruhe und Entspannung entlang der Sache emergent entstehen und wachsen kann – und sich über die Zeit im stetigen Zusammenspiel von AAEL-Doing und AAEL-Being im gemeinsamen Handeln und Gestalten von Hochschulbildung ausdifferenziert (siehe ausführlicher Kapitel AAEL-Praxis). So dass eine absehbare nächste krisenhafte Situation oder komplexe Herausforderung von allem auf Basis dieser individuellen und gemeinsamen Ressourcen möglichst souverän bewältigt werden kann. Mit dem AAEL-Rahmen liegt somit ein Angebot für Akteur_innen in der Bildung vor, einen übergreifenden Lernraum der Partizipation und Selbstorganisation für Personen und Organisationen gleichermaßen zu eröffnen. Er trägt dazu bei, agil gemeinsam Bildung zu gestalten, um unter unsicheren Kontextbedingungen in der Post-Digitalität entlang von geteilten Werten und Prinzipien verantwortungsvoll, zielorientiert und kontinuierlich sowohl individuell als auch gemeinsam entlang einer geteilten Vision und einem sinnvollen Ziel proaktiv und souverän im Dazwischen handeln zu können.
Der konzeptionelle AAEL-Rahmen ist zugleich Teil und Bezugspunkt für dessen Transfer zur Anwendung und Integration in die (Hochschul-)Bildungspraxis, die von allen Akteur_innen in ihren jeweiligen Handlungsfeldern auf Mikro‑, Meso- und Makro Ebene stetig hervorgebracht, mit- und weiterentwickelt wird, um (Hochschul-)Bildung gemeinsam besser zu machen7.
Letzte Aktualisierung am 14.03.2025 (Changelog)
- Digitalität wird hier im Verhältnis zur Digitalisierung im Sinne Felix Stalders verstanden; vgl. dazu u.a. folgenden Beitrag, sowie ausführlicher zur Post-Digitalität im Vertiefungskapitel Digitaliät (hier die aktuell gültive Version 1.0) im AAEL-Buch [↩]
- siehe ausführlicher zu Digitalität, Digitalisierung und Post-Digitalität im entsprechenden Vertiefungskapitel hier im AAEL-Buch 1.0 [↩]
- siehe ausführlicher zur Personenorientierung und Partizipation im Rahmen von AAEL im entsprechenden Vertiefungskapitel hier im AAEL-Buch 1.0; ein gesondertes Kapitel zum Fokus Organisation ist in Vorbereitung [↩]
- In Anlehnung an die Erstellungsform des Scrum-Guides wird für das AAEL-Rahmenwerk neben dessen versionenbasierter Weiterentwicklung die Auffassung von einer Art ‚Spielregeln‘ (‚Rules oft he Game‘) aufgegriffen, um beliebigen Anpassung Grenzen zu setzen. [↩]
- vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Tangram [↩]
- In Anlehnung an die Erstellungsform des Agilen Manifests werden für das AAEL-Rahmenwerk zentrale Prinzipien beschrieben. [↩]
- vgl. dazu das hier anschließende eigenständige Kapitel zum Transfer des AAEL-Rahmens auf die Bildungspraxis am Beispiel von Hochschulbildung (in Vorbereitung) [↩]