Digitalität 1.0

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„Die digitalen Technologien sind allgegenwärtig und haben die Voraussetzungen, unter denen wir leben und arbeiten, grundlegend verändert. Diese neuen Voraussetzungen würde ich als Digitalität bezeichnen.“

Felix Stalder (2019)1


Digitalisierung und Digitalität stellen heute allgemein den selbstverständlichen Kontext dar, in dem sich gesellschaftliche Bereiche entwickeln. Besonders für den Bildungsbereich eröffnet dieser gesamtgesellschaftliche Trend trotz Herausforderungen enorme Chancen für die eigene kulturelle Weiterentwicklung. Dabei ist für Agile Educational Leadership besonders Digitalität auf Grund ihrer kulturwissenschaftlichen Ausrichtung als Kontextbedingung im (Hochschul-)Bildungsbereich und Handlungsrahmen von zentraler Bedeutung. Weil gerade die Begriffe mit Bezug auf das Digitale sich im Bildungsbereich sehr variantenreich zeigen, wird in diesem Kapitel das Verständnis von Digitalität differenziert und beschrieben, um damit für die nachfolgenden Kapitel eine Grundlage und einen Bezugsrahmen für Agile Educational Leadership zu schaffen. 

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Digitaler Wandel

Wie haben Sie bisher den digitalen Wandel im Bildungsbereich erlebt?

Geht es um das Thema Digitalisierung und Digitalität im deutschen Bildungsbereich, so ließ sich mindestens die letzten 20 Jahre ein wiederkehrendes Muster in den Debatten beobachten, dessen Durchbrechung nun möglich scheint.  

Vom Ob zum Wie 
Die Rolle von den jeweils neuen Medien oder digitalen Medien oder mobilen Medien oder E-Learning im Bildungsbereich, je nachdem welcher Begriff gerade bevorzugt wurde, wurde durchweg mit ihren Chancen und Grenzen gesehen, ausführlich reflektiert und es fanden beispielhafte Versuche statt. Über die letzten Jahrzehnte hinweg, ging es bei der Integration digitaler Medien in die Bildungsbereiche und vor allem im schulischen Unterricht oder der Hochschullehre immer weniger um ein Ob, doch dafür immer mehr um ein passendes Wie.  

Zugleich ließ sich beobachten, dass über breite Debatten und vielfältige Projekte oder Einzelvorhaben hinaus, in der Breite relativ wenig systematische, verbindliche Aktivitäten stattfanden. Solche Aktivitäten hätten mit dazu beitragen können, neben den bestehenden, traditionellen Medien, gleichermaßen die selbstverständliche Integration digitaler Medien dahingehend zu stärken, dass sich das mit Blick auf die Lernenden, die Lernumgebungen und damit das Lernen didaktisch weiterentwickelt und innovative Lernszenarien in den fachlichen und überfachlichen Kontexten alltäglicher werden. Positiv ist festzuhalten, dass die plakative Diskussion um die Entscheidung Für oder Gegen digitale Medien im Bildungsbereich heute differenzierter betrachtet wird. Damit ist nunmehr lediglich das Wie, also die Umsetzungsfrage, zu klären. Und an diesem Punkt stehen wir heute. Hinter dem Wie steht, um es einmal plakativ auszudrücken, die Herausforderung einer innovativen wie auch zeitgemäßen Entwicklung von Unterricht und Lehre sowie die Entwicklung der Bildungsorganisationen und damit des Bildungsbereiches. Die derzeitigen kritischen wie konstruktiven Erfahrungen, die überall im Bildungsbereich gemacht werden, stellen für die nächsten, möglichen Handlungsschritte zur Entwicklung der (Hochschul-)Bildung eine realistische und ermutigende Referenz dar.

Technologie als Treiber
Bis heute wird bei Fragen der Entwicklung von Bildung schnell die Folgefrage nach der Digitalisierung als etwas Selbstverständliches nachgeschoben, mit dem innovative Bildung zusammen gedacht wird. Dann folgt die Beschäftigung mit der Infrastruktur und deren Beschaffung. Doch fehlt häufig der genauso selbstverständliche nächste Schritt, nämlich die viel anspruchsvollere Frage nach der Ermöglichung einer veränderten Lernkultur im Bildungsbereich und welche Rolle ein solcher Kulturwandel für die beteiligten Akteur_innen spielt und was sie in einem solchen Prozess brauchen.

Zugleich lässt sich beobachten, dass immer viel Zeit auf die Frage nach der Infrastruktur oder wenn diese weitestgehend geklärt ist, die Fragen nach Rechten und Pflichten verwendet wird. Es hat den Anschein, dass die grundlegenden kulturellen Fragen, die sich nicht auf einzelne Tools, Werkezuge oder Endgeräte beziehen lassen, auf diese Weise auch aufgeschoben werden – und zwar mit jedem neuen Technologieschub wieder. Denn so ließ es sich die letzten Jahre beobachten, zumeist kam, immer wieder angetrieben von einer neu auf dem Markt etablierten Technologien, ein Schwung und mitunter auch überhöhte Euphorie in die jeweiligen Debatten. Anfangs waren es für eine längere Zeit Laptops, dann folgte eine intensive Debatte um mobile Endgeräte wie Tablets, verbunden mit der WLAN-Ausstattung und interaktiven Wandtafeln in Bildungsinstitutionen (vgl. beispielsweise für eine Diskursanalyse zur schulischen Medienbildung seit 1995 Stoltenhoff, 2019)3. Heute sind beispielsweise in der beruflichen Bildung und Weiterbildung Virtual Reality und Augmented Reality und im Hochschulbildungsbereich Learning Analytics wichtige technologiebasierte Treiber. Künstliche Intelligenz gilt derzeit gar als übergreifender gesellschaftlicher Trend. Doch auch hier ist die eigentlich spannende Frage, wie sich unter diesen Bedingungen nun der Bildungsbereich oder das, was hier mit Educational gefasst wird, entwickeln kann und was davon von uns Akteur_innen gestaltet werden kann.

Über das Wie hinaus
Auch wenn der Fokus zumeist zuerst auf die Technologie gelegt wird, zeichnet sich ein gemeinsames Verständnis ab, dass es nicht allein bei Hardware und Infrastruktur bleiben könne, sondern dass die Entwicklung einer entsprechenden Lehr- und Lernkultur sowie medienbezogener Qualifizierung oder Ausbildung aller Akteur_innen ebenso notwendig sei (siehe beispielsweise im Ansatz auch in der bildungsbereichsübergreifenden Strategie zu Bildung für eine digitale Welt der KMK 2017)4. Doch scheint die zentrale Herausforderung darin zu liegen, gemeinsam ins weitere Machen zu kommen, sobald die Geräte ausgepackt sind und die Prozentzahlen über die WLAN-Versorgung statistisch verarbeitet wurden. Eine weitere Herausforderung liegt darin, in den wichtigen, kritischen Debatten, die hier geführt werden und geführt werden sollten, auch zu erkennen, welche Einzelinteressen gerade im großen Feld Bildung und Digitalisierung die Aktivitäten prägen und beeinflussen. 

In der Gesamtschau verbindet so bis heute alle Debatten, dass sie bei der Frage nach einem passenden Wie, also beim konsequenten Umsetzungsprozess, auffällig bald stagnieren, gerade wenn es um landesweite Vorhaben mit Hilfe eines Masterplans geht. Es scheint dabei mehr Engagement in die Debattenkultur um eine digitale Transformation des Bildungsbereiches, denn in eine Machen-Kultur zu fließen. Doch braucht es heute noch langfristige Masterpläne für eine digitale Transformation, bei der die technologische Entwicklung selbst in immer kürzer werdenden Zyklen verläuft, wenn es um die Zukunft des Bildungsbereiches und zeitgemäße Bildung für die nächste Generation geht?

Digitalisierung und Digitalität

Bei den Überlegungen, den hier vorgestellten Ansatz Agile Educational Leadership zu nennen, wurde bewusst auf eine ausdrückliche Erwähnung oder Ergänzung mit Verweis auf Digitalisierung verzichtet, weil Digitalisierung hier als eine selbstverständliche Bedingung betrachtet wird, die den Handlungsrahmen ausmacht. Eine solche explizite Ergänzung um beispielsweise ein „Digital“ hin zu einem Digital Agile Educational Leadership oder Agile Educational Digital Leadership würde zudem eine verkürzte Sicht mit sich bringen, weil es hier nicht um ein digital Leadership mit digitalen Tools oder Werkzeugen geht, sondern im Kern, um eine technologieunabhängige Sicht. Insofern wäre aus derzeitiger Perspektive, sofern die Herstellung eines konkreten Bezugs als hilfreich gesehen wird, die Formulierung Agile Educational Leadership unter den Bedingungen von Digitalisierung und Digitalität am treffendsten.  

Diese Wahl der Formulierung lässt sich mit der Relevanz sowohl einer technologischen wie auch einer kulturwissenschaftlichen Perspektive erklären. Und weil Agile Educational Leadership, wie in den späteren Kapiteln noch deutlicher werden wird, weniger mit Technologien und Techniken, als mehr mit Praktiken und Praxis und damit einhergehender Kommunikation, Interaktion und gemeinsamen Handeln in Verbindung steht, ist gerade eine Perspektive, die die Kultur stärker fokussiert, so relevant. 

Der Begriff der Digitalität wurde im Kontext einer Kultur der Digitalität (Stalder, 2016)5 in den letzten Jahren in der Diskussion im Bildungsbereich immer stärker mit aufgenommen und mit dessen Hilfe eine bewusste Abgrenzung zur Digitalisierung vorgenommen.  

Digitalisierung 
Für Stalder steht Digitalisierung für eine Technisierung und Schaffung von technischer Infrastruktur, die Voraussetzung ist, damit sich eine Kultur der Digitalität (weiter) entwickeln kann. Das gilt auch für die Lehr- und Lernkultur im Bildungsbereich wie im Grunde für alle Handlungsfelder über Lehre hinaus bis in die Bereich Support und Administration. Eine reine Digitalisierung der Bildungseinrichtungen im Sinne einer Technisierung wäre demnach Mittel zum Zweck, um ein besseres und lang versäumtes Ausstattungsniveau und eine funktionsfähige Infrastruktur zu gewährleisten. Doch birgt dieses Vorgehen eine sich bereits abzeichnende Hürde für den kulturellen Wandel: Bisherige und mitunter nicht mehr ganz aktuelle Herangehensweisen, Strukturen und Konzepte sowie pädagogische und didaktische Ansätze könnten lediglich digitalisiert werden, statt zu einer Neugestaltung der Lehr- und Lernkultur durch entwickelte Herangehensweisen, Kommunikationsweisen oder Handlungskonzepte zu führen.  

Deshalb wird es stellenweise auch als schwierig wahrgenommen, wenn verkürzt von digitaler Bildung oder digitalem Lernen gesprochen wird, weil damit häufig die oben genannte Hürde von digitalisierter Bildung oder digitalisiertem Lernen verbunden und transportiert wird. Denn diese impliziert, dass sich bisherige Bildungsideen und Lehr- und Lernkonzepte aus dem analogen Alltag im Grunde 1:1 digitalisieren ließen, wenn man nur die richtige Technologie dafür hätte. Eine alternative Sicht wäre es, mit den nunmehr durch die Digitalisierung erweiterten Möglichkeiten neue, passende didaktische Überlegungen für die Lehre oder bei der Entwicklung von Lehrplänen, Modulen oder Curricular vorzunehmen. Das Thema der Umsetzung von Fernunterricht in der Schule oder Online-Lehre in den Hochschulen ist hier derzeit ein sehr präsentes Beispiel (Hochschulforum Digitalisierung, 2020)6.

Digitalität 
Digitalität steht auch im (Hochschul-)Bildungsbereich für eine eher kulturwissenschaftliche Perspektive und Beschreibung des derzeitigen gesellschaftlichen Zustands unter den Bedingungen einer Kultur der Digitalität (Mayrberger, 2020)7. Digitalität baut auf Technisierung und Digitalisierung auf und meint das Aushandeln von Kommunikations- und Handlungsweisen und beinhaltet letztlich die Frage, wie wir in der heutigen Gesellschaft leben, arbeiten und auch lernen wollen. Digitalität meint daher mehr als Digitalisierung, und umfasst Praxis wie Praktiken in einer Kultur der Digitalität. Diese Kultur der Digitalität ist vor allem geprägt durch drei besondere Formen: 1) Referenzialität, d.h. Vernetzung von Personen und Daten; 2) Gemeinschaftlichkeit, d.h. soziale Gemeinschaft und sozial vernetztes Handeln sowie 3) Algorithmizität, die auf die große Bedeutung von Daten Bezug nimmt und deren Einwirken auf Entscheidungen und das Suchen und Finden sowie Vernetzen von Inhalten. Diese Bedingungen rahmen derzeit unser Handeln und stellen damit auch die rahmenden Bedingungen für einen Kulturwandel in den unterschiedlichen Bildungsbereichen dar (siehe Stalder 2017 für den Hochschulbildungsbereich)8.

Digitalität und Hochschulbildung

Stalder bringt den Zusammenhang von Digitalisierung, Digitalität und Bildungskontext am Beispiel der Hochschulbildung sehr gut auf den Punkt, wenn er herausstellt:

„Die zentrale Herausforderung der Universitäten unter den durch die Digitalität veränderten Bedingungen ist nicht primär, welche Geräte nun angeschafft werden sollen, sondern wie sie ihre eigenen Praktiken unter diesen Bedingungen umgestalten sollen und wollen. […] Die Herausforderungen der Digitalität liegen also nicht primär auf technischer, sondern auf epistemologischer und organisatorischer Ebene. Nur wenn man darauf Antworten entwickelt, kann man die Infrastruktur so ausbilden, dass sie den veränderten Anforderungen an Lehre, Forschung und gesellschaftlicher Einbettung gerecht wird“

(Stalder, 2018, S. 15)9 

Dabei liegt einer kulturellen Perspektive auf Digitalität auch zu Grunde, dass diese anders als beim technologischen Fortschritt nicht zwangsläufig mit dem nächsten Technologietrend abgelöst wird. Vielmehr können analoge und digitale Praktiken nebeneinander wie integriert oder aufeinander aufbauend bestehen und es auch zu Neuinterpretationen von vormals analogen Praktiken im digitalen Kontext kommen (Heimstädt, M., & Gegenhuber, T., 2020)10. Insofern greift bei der (Weiter-)Entwicklung des (Hochschul-)Bildungsbereiches, die zumeist auf der Mikroebene des Lehren und Lernens ansetzt, der Begriff Digitalisierung oder eine Digitalisierung von Lehren und Lernen oder digitales Lernen wie auch digitale Bildung zu kurz. 

Eine alternative Überlegung wäre die Idee eines Gap-Wortes, um zu verdeutlichen, dass mit Blick auf Bildung vielfältige technologische wie kulturelle Perspektiven auf „digital“, Digitalisierung und Digitalität vorliegen. Man könnte dann zwar etwas künstlich, doch mit integrierender Intention, von einer DigitalBildung sprechen, um die Differenzierung implizit mitzudenken und abzubilden. 

Die Kontextbedingung digitaler Wandel ist eine dynamische und wird sich auch über die Zeit auf die Entwicklung von Interaktion und Kommunikation und somit auf die Kultur der Digitalität auswirken. Für Agile Educational Leadership ist die hier aufgezeigte Differenzierung insofern relevant, weil deutlich wird, dass Digitalität als Rahmen eine explizite Bedingung und sinnvolle Bezugsgröße darstellt, die den Ansatz rahmt, doch nicht selbst expliziter Teil des Ansatzes ist. Der Bildungsbereich und auch die Bildungsorganisationen bzw. -institutionen werden sich im Zuge ihrer jeweiligen digitalen Transformation entwickeln.

Digitale Transformation

Die digitale Transformation im Bildungsbereich mit ihren Bildungsorganisationen lässt sich recht nüchtern damit erklären, dass jegliche Prozesse und Rahmenbedingungen digital erfolgen und damit auf digitalen Daten und Verarbeitung von Informationen basieren, um die Bildungsorganisation zu modernisieren.  

Die Diskussion um die Rolle von Technologien im Bildungsprozess sowie der nötigen Infrastruktur wie sie die letzten Jahrzehnte ausführlich zu beobachten war, ist damit zwar relevant, weil sie eine nötige Basis schafft, doch mit Blick auf den Bildungsbereich ist sie nicht mehr hinreichend. Denn heute ist die Rolle von Daten, ihrer Erzeugung und vor allem ihrer Speicherung und Verwendung sowie Löschung aus Perspektive der Akteur_innen im Bildungsbereich viel bedeutsamer. Daten im (Hochschul-)Bildungsbereich können für die Optimierung von Beratungs-, Lern- und Prüfungsprozessen sowie Studienprogrammplanungen, wie es derzeit unter dem Schlagwort Learning Analytics gebündelt wird, herangezogen werden (Ifenthaler, 2020)11. Darüber hinaus ist die Rolle von Daten nicht nur allgemeingesellschaftlich, sondern auch im Bildungsbereich Anlass zur kritischen Diskussion ihrer Verwendung und der Kompetenz mit ihnen gut und verantwortungsvoll umgehen zu können.  

Aus Sicht der Organisationen ist die Analyse und Verwendung von Daten von Interesse, sei es zur Optimierung von Geschäftsprozessen bezogen auf die gesamte Bildungsorganisation, wie es beispielsweise für Hochschulen, die nicht staatlich finanziert sind, nochmals eine andere Bedeutung hat (siehe beispielsweise die Beschreibung der US-amerikanischen Initiative EDUCAUSE)12.  

Weniger nüchtern betrachtet, steht digitale Transformation im Bildungsbereich für einen Kulturwandel, der, wenn er gelingt, ein sehr wirksames Element in der gemeinsamen gesellschaftlichen Weiterentwicklung einschließlich des Bildungsbereiches darstellt. Zugleich ist sie aber auch mit all den digitalen Neuerungen eine enorme Anstrengung für alle Beteiligten, weil einige der bisherigen Gewohnheiten durch nunmehr neue Möglichkeiten in Frage gestellt oder ganz ersetzt werden. 

Veränderte Lebenswelt 
So wie unsere alltägliche Lebenswelt von Medien durchdrungen ist, ist es nachvollziehbar auch der Bildungsbereich. Und wir merken in der alltäglichen Kommunikation und beim Handeln, wie sich etwas verändert – vielleicht auch erstmal nur unbewusst. Das deutlichste Beispiel hierfür ist die Art, wie sich unser Austausch über das Handy und heute Smartphone entwickelt hat. Wenn man sich erinnert, welche Rolle das Telefonieren mit dem analogen Telefon zu Hause oder in den überall aufgestellten Telefonzellen spielte, welche Rolle zwischenzeitlich bereits das mobile Telefonieren-Können und Verschicken von SMS für uns hatte und wie sich das nochmals verändert hat, seit jedes Smartphone ein kleiner Computer ist und wir von jedem Smartphone aus auf das Internet zugreifen können. Besonders unsere Aktivitäten in sozialen Netzwerken und über Messenger-Dienste führen uns vor Augen, wie sich der Austausch miteinander langsam gewandelt hat. Man denke beispielsweise daran, dass es heute üblich geworden ist Video- oder Sprachnachrichten über einen Messenger-Dienst zu verschicken, der ursprünglich für Textnachrichten vorgesehen war. Gleichgeblieben ist, dass man sich zeitgleich also synchron oder zeitlich versetzt also asynchron austauschen kann – lediglich die Art und Weise hat sich erweitert und entwickelt. Das Beispiel zeigt, dass sich mit der Entwicklung der Technologien auch unsere Handlungspraktiken, also wie wir etwas selbstverständlich tun oder wie man etwas macht, mitentwickelt oder gänzlich neu eingespielt haben. Das Austausch ein hoher kultureller Wert ist, hat sich nicht verändert. Doch die Praxis, wie wir miteinander in den Austausch kommen, hat sich über die Jahre entwickelt, weil beispielsweise neben Telefon und Brief weitere Kommunikationsformate wie E-Mail, SMS bzw. Kurznachricht oder Video- und Textnachrichten zur Verfügung stehen, die sich noch durch Bilder oder Emoticons ergänzen lassen. 

Veränderte Bildungswelt 
Ähnlich wie das Beispiel zum Austausch im privaten Bereich sorgt die digitale Transformation im Bildungsbereich nicht allein nur für eine Technisierung von Prozessen, für die es digitale Infrastruktur benötigt, um die Bildungsorganisation zu modernisieren, sondern ist auch für einen Kulturwandel mitverantwortlich, wenn sich neue Praktiken und damit veränderte Bildungspraxis emergent entwickeln. So erleben wir es auch beim Lehren und Lernen oder abstrakter in der Kommunikation, Interaktion und dem sozialen Handeln miteinander, wie beispielsweise die mittlerweile selbstverständliche und zunehmend souveräne Verwendung von Videokonferenzen zeigt, die sich für ausgewählte Formate vermutlich etabliert haben wird.  

Digitale Transformation im (Hochschul-)Bildungsbereich kann dann für einen Lehr- und Lernkulturwandel sorgen, wenn konkrete Vorstellungen davon, wie wir zukünftig lehren und lernen wollen, mit dem verbunden werden, was digitale Technologien heute an Aktivitäten ermöglichen oder auch durch ihre Anwendungsweisen im positiven Sinne von den Nutzenden erfordern. Beispielsweise wird ein Austausch in einem Gruppenchat oder Forum zwischen Lehrenden und Lernenden oder zwischen Lernenden untereinander auf einer Lernplattform für alle mitlesbar dokumentiert und sorgt so für Transparenz zwischen allen Beteiligten. Ebenso verhält es sich mit der Wiki-Technologie, wie man es gut am Beispiel von Wikipedia sehen kann: Jede_r kann etwas beitragen und verändern, doch was wer redaktionell freigibt und aus welchen Gründen gelöscht, verändert oder neu geschrieben wurde, ist für alle gleichermaßen transparent und nachvollziehbar in der Versionierung der jeweiligen Seiten dokumentiert. Technologie trägt hier also durch automatisierte Dokumentation potenziell zur Möglichkeit bei, dass der Austausch nachvollziehbar und so stärker auf Augenhöhe erfolgen kann oder im Gegenteil Machtkonstellationen ersichtlich werden. Machtgefälle zwischen den Akteuer_innen können mit diesen Informationen möglicherweise sogar reduziert werden. Und so können potenziell Lehre und Unterricht entlang didaktisch zeitgemäßer Lehr- und Lernkonzepte transparenter, offener und insgesamt lernendenorientierter gestaltet werden, um eine stärkere Verantwortungsübernahme der Lernenden für ihren Lernprozess zu ermöglichen und zu bestärken. 

Personen im Fokus 
Nach wie vor liegt die eingangs aufgezeigte Herausforderung für den Bildungsbereich im Wie, also dem Prozess der (Weiter-)Entwicklung der Bildungsorganisationen mit ihrer jeweiligen Lehr- und Lernkultur und ihren etablierten Praktiken und jeweiliger Fachpraxis unter den Bedingungen von Digitalität.  

Meistens wird, wie auch hier, in diesem Zusammenhang zuerst auf die Mikroebene des Lehrens und Lernens und genau genommen auch des Prüfens geschaut, weil diese für viele durch eigene Erfahrungen schneller greifbar ist. Und die Mikroebene wird auch deshalb thematisiert, weil es eben auch darum geht, dass der Bildungsbereich am Ende erfolgreiche und gute Lern- und Bildungsprozesse ermöglichen soll. Daher ist wichtig zu betonen, dass zwar das Beispiel des Lehren und Lernens häufig angeführt wird, weil es gut vorstellbar ist, doch dass mit Akteur_innen im Bildungsbereich, die potenziell ein Agile Educational Leadership für ihren Bereich übernehmen können, neben den Lernenden und Lehrenden selbstverständlich auch Akteur_innen gemeint sind, die den weiteren Rahmen mitverantworten, ohne den Lehre oder Unterricht gar nicht realisierbar wäre. Dazu gehören Mitarbeitende der Administration oder aus den Support/Unterstützungssystemen ebenso wie solche mit Leitungsfunktionen oder bildungspolitischen Aufgaben. 

So wurde auch hier beispielhaft für die Mikroebene verdeutlicht, dass mit digitalen Medien im Bildungsbereich sehr viel mehr möglich ist, als den bisherigen Unterricht oder die Lehre einschließlich der etablierten Vorgehensweisen und didaktischen Konzepte lediglich 1:1 ins Digitale zu übertragen und somit zu digitalisieren. Die technische Infrastruktur, die digitale Medien für den Unterricht und die Lehre oder auch die Forschung und die Administration bietet, stellt die Basis dar, damit sich eine je spezifische Kultur der Digitalität für den jeweiligen Bildungsbereich mit eigenen Praktiken entwickeln kann. 

Es besteht jetzt besser die Möglichkeit, beispielsweise lernendenorientierte Praktiken zu kultivieren. Für eine solche Perspektive spielt es dann auch keine Rolle, in welchem Verhältnis Pädagogik, Technologie, Digitalisierung oder Didaktik stehen oder priorisiert werden. Denn bei der Entwicklung neuer Konzepte und Ansätze für den (Hochschul-)Bildungsbereich werden die einzelnen Lernenden und ihre individuellen, iterativen Lernprozesse immer wichtiger, als einen bestimmten Umfang an Inhalten durchzunehmen oder zu vermitteln, wie es traditionell heißt. Die Gestaltung von formalen, non-formalen oder auch informellen Lernumgebungen richtet sich in solch einer lernendenorientierten Praktik an den beteiligten Personen mit ihren diversen Bedarfen und Beiträgen aus – und zwar selbstverständlich unter den Bedingungen von Digitalität. 

So wie im konkreten Bereich des Lehrens und Lernens die Lernendenorientierung und damit der Fokus auf die Personen und ihre Bereitschaft Verantwortung für den eigenen Lernprozess mitzutragen, den lernkulturellen Wandel befördern kann, geht ein Agile Educational Leadership ebenso von den einzelnen Personen aus. Auch hier geht es darum, im jeweiligen Bereich Schritt für Schritt wirksam zu agieren, in dem alle Verantwortung für ihren jeweiligen Handlungsbereich in Form einer Idee von Leadership übernehmen und Leadership zeigen.  Ein solches Hinwirken einzelner und im Team auf ein Vorankommen des Bildungsbereiches in der digitalen Transformation könnte dazu beitragen, mit dem Wie besser als bisher voranzukommen – nämlich schrittweise vorwärts.  

  1.  https://www.thinktank-transit.ch/den-schritt-zuruck-gibt-es-nicht/ []
  2. https://de.freepik.com/psd/mockup”>Mockup PSD erstellt von Vectorium – de.freepik.com; Buch-Cover by Kerstin Mayrberger, Lizenz CC BY 4.0 []
  3. Stoltenhoff, A.-K. (2019). Medienbildung im kompetenzorientierten Schulsystem Diskurs- und hegemonietheoretische Analyse des Wissensfeldes ›schulische Medienbildung‹ (Dissertation). Wirtschafs- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen, Tübingen.  []
  4. Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland. (2017). Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ (Beschluss der KMK vom 08.12.2016 i.d.F. vom 07.12.2017). Berlin. Abgerufen am 16.03.2021, von www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktuelles/2018/Digitalstrategie_2017_mit_Weiterbildung.pdf. []
  5. Stalder, F. (2016). Kultur der Digitalität. Berlin: Suhrkamp. []
  6. Hochschulforum Digitalisierung (2020). Corona und die digitale Hochschullehre: Ein Einblick in den aktuellen Forschungsstand. Abgerufen am 17.03.2021, von https://hochschulforumdigitalisierung.de/corona-digitale-hochschullehre-forschung. []
  7. Mayrberger, K. (2020). Digitalisierung und Digitalität in der Hochschulbildung. Bildung und Erziehung. 73, 2, 136-154. []
  8. https://www.fernuni-hagen.de/universitaet/themen/reihe_hochschulperspektiven/stalder.shtml, abgerufen am 31.03.2021 []
  9. Stalder, F. (2018): Herausforderungen der Digitalität jenseits der Technologie. Synergie – Fachmagazin für Digitalisierung in der Lehre, 5, 8-15. []
  10. Heimstädt, M., & Gegenhuber, T. (2020). Digitale Transformation der Hochschulbildung – Möglichkeiten strategischen Handelns. In M. Deimann & T. van Treeck (Hrsg.), Digitalisierung der Hochschule – Aspekte und Perspektiven der Transformation (S. 41). Berlin: DUZ Verlags- und Medienhaus. []
  11. Ifenthaler, D. (2020). Learning Analytics im Hochschulkontext – Potenziale aus Sicht von Stakeholdern, Datenschutz und Handlungsempfehlungen. In R. A. Fürst (Hrsg.), Digitale Bildung und Künstliche Intelligenz in Deutschland. Nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftsagenda (S. 519–535). Wiesbaden: Springer. []
  12. https://www.educause.edu/focus-areas-and-initiatives/digital-transformation, abgerufen am 31.03.2021 []
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