Agile Educational Leadership – Auf dem Weg zum Rahmenwerk

Lesezeit: 25 Minuten

“The real role of leadership in education (…) is climate control, creating a climate of possibility. And if you do that, people will rise to it and achieve things that you completely did not anticipate and couldn’t have expected”.   

Sir Ken Robinson (2017)1

Die nunmehr vorliegende Version 1.0 zum Ansatz Agile Educational Leadership ist zugleich auch der erste Entwicklungsschritt hin zu einem transdisziplinären Rahmenwerk Agile Educational Leadership.  

Agile Educational Leadership als ein Rahmenwerk soll dazu beitragen, mit den fortwährenden Entwicklungen des (Hochschul-)Bildungsbereichs mit seinen dynamischen Kontextbedingungen und (hoch)komplexen gesellschaftlichen Herausforderungen zukunftsorientiert umgehen und handlungsfähig bleiben zu können. 

Agile Educational Leadership wird von der Grundidee getragen, dass sich eine auf agilen Werten und Prinzipien basierende Haltung (Mindset) als Leader_in im Sinne eines spezifischen agilen Leaderships auf den (Hochschul-)Bildungsbereich adaptieren lässt. Hierbei steht der Hochschulbildungsbereich zwar im Fokus, doch lassen sich viele Aspekte für Bildung und ihre Bereiche in je spezifischer Weise übernehmen. 

Bereits im Auftakt zu diesem Buch war es mir wichtig mit Hilfe des Golden Circles von Simon Sinek zu illustrieren, dass Agile Educational Leadership als bisher konzeptioneller Zugang im Sinne eines How ein möglicher strategischer Ansatzpunkt sein könnte – und vermutlich nicht der einzige –, um den Bildungsbereich mit hervorgehobenem Blick auf die digitale Transformation und unter den Bedingungen einer Kultur der Digitalität gemeinsam anders als bisher zu gestalten und auf breiter Basis entlang agiler Werte und eines agilen Mindsets partizipativ und selbstorganisiert zu entwickeln.  

Agiles Vorgehen und eine zukünftige gemeinsame, partizipative wie auch selbstorganisierte (Weiter-)Entwicklung von Agile Educational Leadership als Rahmenwerk sind auch mit dieser frei und offen verfügbaren Online-Ressource in Form eines ersten Minimal Viable Products (MVP) intendiert. Was damit genau gemeint ist und welche Folgen das für die weitere Entwicklung von Agile Educational Leadership hat, wird nachfolgend mit Blick auf das angestrebte Rahmenwerk ebenso beschrieben, wie Verbindungen und kritische Reflexionen vorgenommen werden. Dieses Kapitel schließt mit einem Ausblick auf das nächste MVP zum AEL-Rahmenwerk. 

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Ein Rahmen und doch noch kein Rahmen

Ein erstes konzeptionelles Minimal Viable Product (MVP) (siehe3 oder ausführlicher begründet bei Ries, 20094 ) liegt nun vor – genau genommen also das MVP in Version 1.0 des Ansatzes und transdisziplinären Rahmenwerks Agile Educational Leadership.  

Das MVP Agile Educational Leadership 
Das Verständnis eines MVP aus dem Lean-Management wird hier adaptiert: Mit der Version 1.0 des AEL-Buchs liegt ein erstes benutzbares Produkt und zugleich Ergebnis eines Erkenntnis- und Transferprozesses vor. Es ist funktionsfähig und sofort als Online-Ressource mit zusätzlicher Podcast-Funktion verwendbar, die Grundidee der Zielsetzung wird erfahrbar gemacht und die konzeptionelle Basis wird aufgezeigt, um möglichst schnell im Entstehungsprozess Feedback von interessierten Personen und konkreten Stakeholder_innen einzuholen. Dieses Feedback kann aufzeigen, dass die Richtung stimmt, dass bestimmte Aspekte unbedingt ausgebaut werden sollten oder bereits an anderer Stelle vorliegen und integriert werden sollten – oder auch, dass Agile Educational Leadership absolut unbrauchbar ist. In jedem Fall ist jedes Feedback hilfreich, für die weitere gemeinsame Entwicklung von Agile Educational Leadership und ganz grundsätzlich die gemeinsame Entscheidung, ob sich das Dranbleiben lohnt.  

Agile Educational Leadership als Rahmenwerk 
Ein Rahmenwerk ist als Dach zu verstehen, unter dem sich verschiedene Aktivitäten einen lassen, die sich auf einen gemeinsamen Referenzrahmen verständigt haben. Wie eng oder weit dieser Referenzrahmen gezogen wird, welche Aktivitäten und welche Aktuer_innen letztlich darunter gefasst werden, ist hierbei ein offener und stetig neu zu verhandelnder Prozess. Ein Rahmenwerk ist nicht dogmatisch zu verstehen, sorgt aber für den verbindlichen, gemeinsamen roten Faden in der Pluralität möglicher Auslegungen und Umsetzungen. Oder um bei Sineks Golden Circle zu bleiben, wäre das jeweils konkrete What innerhalb des transdisziplinären Rahmens Agile Educational Leadership noch zu entwickeln. 

Entsprechend handelt es sich beim Rahmenwerk Agile Eductional Leadership nicht um eine klare Methode oder eine bestimmte rezeptartige Vorgehensweise, ähnlich wie es beispielsweise vom Rahmenwerk Scrum5 bekannt ist oder beim IATF-Framework (Integral Agile Transformation Framework)6 zu finden ist. Derzeit verbindet die Version 1.0 des MVP Agile Educational Leadership mit Blick auf das Ziel eines transdisziplinären Rahmenwerks Agile Educational Leadership für den spezifischen Bereich der (Hochschul-)Bildung adaptierte Konzepte, Ansätze und Methoden aus unterschiedlichen Disziplinen und der Praxis. 

Was das Besondere eines Rahmenwerks ausmacht, ist, dass dieses nicht statisch ist oder statisch sein soll. Die Stärke eines Rahmenwerks liegt darin, dass sich die jeweils geltende Version wiederholt einem kritischen Review unterzieht und von Zeit zu Zeit Anpassungen vorgenommen werden können, die zu den Anforderungen der jeweiligen Zeit und Bedarfe passen (siehe beispielsweise die letzte Versionierung des Rahmenwerks Scrum mit seinen Veränderungen im Takt von jeweils 2-3 Jahren)7. Ausgehend vom agilen Wert sich ständig zu verbessern, wird auf diese Weise also auch dem agilen Prinzip der ständigen Überprüfung und Anpassung gefolgt, indem ein fortlaufendes öffentliches Review des frei und offen zugänglichen Rahmenwerks ermöglicht wird. Dass sich die agilen Prinzipien hier auch mit denen guter wissenschaftlicher Praxis, wie vor allem das Falsifikationsprinzip, Reviewtätigkeit der Fachcommunity sowie neuerdings Open Access, überschneiden, erscheint fast selbstverständlich, soll hier aber der Vollständigkeit halber ausdrücklich erwähnt werden.  

Vor diesem Hintergrund erscheint es nur folgerichtig, dass Agile Educational Leadership an dieser Stelle noch nicht als vollständig ausgearbeitetes, theoretisch hinreichend begründetes sowie in der vielfältigen (Hochschul-)Bildungspraxis erprobtes transdisziplinäres Rahmenwerk vorliegt. 

Verbindungen und Reflexionen

Wenngleich ein transdisziplinäres Rahmenwerk Agile Educational Leadership das Ziel ist, so sind mit dieser Version 1.0 des Ansatzes in Form des AEL-Buchs bereits über die bisher erschienenen Kapitel erste Zusammenhänge oder Relationen aufgezeigt worden. Nachfolgend werden exemplarische wichtige Verbindungen nachgezeichnet und kritisch reflektiert. Dabei ist meine Perspektive primär die einer Bildungswissenschaftlerin, wenn ich mich nachfolgend an den drei nahe liegenden Fokussen orientiere: das A wie Agilität, das E wie Educational und das L wie Leadership. 

Zum A in AEL 
Der Begriff Agilität hat mit zunehmenden Überlegungen und Austausch im Zusammenhang von Agile Educational Leadership eine richtungsweisende Position eingenommen – und damit ursprüngliche Überlegungen wie ein Digital Educational Leadership überlagert und integriert, wenn nunmehr von einem transdisziplinären Rahmenwerk Agile Educational Leadership unter den Bedingungen der digitalen Transformation und einer Kultur der Digitalität gesprochen wird. Dabei steht Agile sowohl für eine Orientierung an agilen Werten und einem agilen Mindset (being agile), wie auch vor diesem Hintergrund und aus dieser Perspektive situativ zu entscheiden, wie ich mich als Person selbst, mit anderen Personen zusammen oder in der und mit der Organisation und den mit ihr und dem Vorhaben verbundenen Zielen passend bewegen und entwickeln kann (doing agile). Agil zu sein und Veränderung im Sinne einer verbessernden Weiterentwicklung zu durchlaufen, wird auch für das Rahmenwerk Agile Educational Leadership selbst angestrebt.  

Rollen und Zuständigkeiten 
Es wird hier stark Bezug genommen auf die Subjekte oder Personen in ihren jeweiligen Bereichen in einer Bildungsorganisation – und damit ist explizit nicht ihre Zuständigkeit oder ihre Funktion gemeint. Der Fokus liegt auf den unterschiedlichsten Handlungsbereichen in dem jede Person für sich Gestaltungsräume oder in Abstimmung mit den Personen um sie herum sieht. Die Frage ist hier nicht, welche Funktion und Steuerungs- und Kontrollaufgabe habe ich übertragen bekommen, sondern welche Verantwortung möchte ich für meinen eigenen Handlungsbereich in welcher Weise übernehmen und welcher Rahmen unterstützt mich dabei. In einem systemischen Sinne, dass nicht eine Person allein eine Organisation mit ihrer Kultur verändern kann, doch jede einzelne Person durch ihr Verhalten bereits andere oder alternative Verhaltensweisen beginnen kann zu kultivieren, ist auch die Personenorientierung im Ansatz Agile Educational Leadership gedacht. Hierbei spielt auch die Perspektive von lebenslangem Lernen und Bildung rein: Emanzipation und Autonomieerleben sind grundlegend für die persönliche Weiterentwicklung, wie auch das Auseinandersetzen mit (heraus-)fordernden Situationen jenseits von Routinen zur persönlichen Transformation und eigenem Wachstum beitragen kann. Im Grunde steckt die Idee von Bildung auch in der transformationalen Leadership-Perspektive und in besonderer Weise in personenbezogenen Ansätzen wie es beim Agile Leadership der Fall ist. Denn hier wird zwar wiederholt besonders eine Personengruppe hervorgehoben, wenn von den Interessen der Kund_innen oder Stakeholder_innen gesprochen wird, doch wird zugleich die Wichtigkeit der agilen Teams und ihr gutes Miteinander mit guter Kommunikation und Interaktion auch hervorgehoben. Kritisch ist zu sehen, dass der Grund für ein agiles Team nie ein Selbstzweck ist und daher das Erstellen oder Entwickeln eines Produkts den Anlass des Zusammenkommens bildet – doch wird hier zugleich deutlich, dass die Arbeit, die Leistung oder das Werk, das das Team gemeinsam erbringt oder erschafft, immer relational zur Entwicklung im Sinne von Empowerment oder Ermöglichung von Wachstum der Teammitglieder entsteht.  

Agile Werte und agiles Mindset 
Die agilen Werte können über die 4 Werte aus dem agilen Manifest hinaus auch breiter betrachtet werden. Ausgehend von den 5 Werten, die mit dem Scrum-Rahmenwerk als feste Größe in die Diskussion Einzug gehalten haben, wozu Offenheit bzw. Transparenz, Mut bzw. Ermutigen und Respekt, Fokus wie auch Commitment zählen, lassen sich darüber hinaus weitere Werte formulieren. Zentral erscheint hierbei gerade für den Bildungsbereich, der auch einen demokratischen Bildungsauftrag für eine plurale Gesellschaft zu erfüllen hat, die große Überschneidung bei Werten wie Kommunikation, Verantwortung und Offenheit wie auch Diversität und Mut.  

Es wird hier davon ausgegangen, dass die Anwendung von Methoden und Praktiken zwar trainiert werden können, doch diese ihre volle Wirksamkeit – auch auf der Beziehungsebene – erst entfalten können, wenn für alle ersichtlich ist, dass ein being agile für das doing agile die treibende Kraft in einer Person ist. Nur mit gewachsener innerer Überzeugung und Haltung lässt sich daher ein authentisches doing agile kultivieren. Verantwortungsübernahme und Vertrauen lassen sich nicht einfach verordnen oder von heute auf morgen im Team als neue Teamregel beschließen. Diese sehr empfindlichen Werte können sich nur entwickeln, wenn kritisch reflektiert wird, wie das Machtgefüge und eine tatsächliche Offenheit im Team und in der Organisation einzuordnen sind. Hierbei stellen sich wichtige Fragen, wie beispielsweise diese Art der Zusammenarbeit netzwerkorientiertes Arbeiten unterstützen kann und wie das mitunter auch neben anderen, klassischen linienartigen Formen der Zusammenarbeit gelingen kann. 

Zum E in AEL 
Agile Educational Leadership will dazu beitragen den (Hochschul-)Bildungsbereich mit Perspektive auf die Personen, die Kultur und die Bildungsorganisationen gemeinsam weiterzuentwickeln.  

Besonderheit Bildungsbereich 
Es ist eine besondere Herausforderung, denn das über Jahrzehnte gewachsene (Hochschul-)Bildungssystem mit seinen Zuständigkeiten zwischen Bund, Länder und Kommunen sowie Funktionen und Hierarchien des öffentlichen Dienstes erscheint in der externen Betrachtung zumeist sehr statisch. Zugleich führen Neuerung, man denke hier nur an die Digitalisierung, immer wieder vor Augen, dass es einigen Standorten sehr gut gelingt, diese für sich passend zu integrieren und zu adaptieren und andere hier sehr lange Anlaufzeiten benötigen. Das Beispiel Unterricht und Lehre zeigt es derzeit eindrücklich: Die aktuelle Pandemie-Situation nach nunmehr 1,5 Jahren und die breite Sorge vor dem Start nach den Sommerferien bzw. nach der vorlesungsfreien Zeit im Herbst zeigt öffentlich wahrnehmbar deutlich auf, welche Bildungsorganisationen und Personen derzeit hohes Zutrauen von ihren Zielgruppen und Akteur_innen genießen und wo Skepsis überwiegt. Es scheint also möglich zu sein, durch Impulse von außen und Engagement und Kreativität aus dem Inneren heraus mit spezifischen Veränderungen beginnen zu können. 

Die Herausforderung einer Adaption von Agilität und Leadership auf den deutschen Bildungsbereich mit seinen Besonderheiten besteht vor allem in seinen Rahmenbedingungen. Die öffentliche Finanzierung und damit die Unabhängigkeit von wirtschaftlichen Anforderungen, führt mitunter dazu stärker als Institution mit seinen Traditionen, denn als Bildungsorganisationen im Kontext einer dynamischen VUCA-Welt wahrgenommen zu werden. Gerade mit Blick auf den Bildungsbereich und mit besonderem Fokus auf den sich auch stärker entwickelnden Markt der Hochschulbildung oder allgemeiner akademischen Bildung stellt sich nach wie vor die Frage, ob dieser es sich erlauben kann, auf einen zeitgemäßen oder für diese dynamischen Zeiten passenden Organisations- und Interaktionsrahmen für Bildungsangebote und Akteur_innen verzichten zu können und zu wollen? 

Fokus Personen 
Mit seiner primären Orientierung an Werten für die gemeinsame Interaktion und Kommunikation setzt Agile Educational Leadership vor allem diversitätssensibel bei den Personen als Gestaltende ihrer Organisation und damit ihres (Bildungs-)Systems an. Sie sind die Akteuer_innen, die in den unterschiedlichen Bereichen aus der Mitte der Organisation mit dem Wissen einer organisationalen Ambidextrie im Sinne eines lebenslangen Lernens den Wandel der Lehr- und Lernkultur einschließlich der Prüfungskultur voranbringen können. Sie sind auch diejenigen, die dezentral entlang horizontaler, netzwerkartiger Strukturen Impulse für veränderte Formen der Zusammenarbeit mit kurzfristigen Iterationen geben können und passende Arbeitsweisen zwischen den Bereichen entwickeln können. Und sie sind die Personen, die eine Kultur der Ermöglichung miteinander aufbauen und leben können – mit dem Ziel einer stärkeren Selbstorganisation, die deutlich über Partizipation und eines damit einhergehenden Empowerments hinausgehen kann.  

So sehr in dieser Entwicklung die Chance auf einer persönlichen Entwicklung liegt, so anstrengend wird dieser Prozess auch für die Einzelnen werden können. Denn ein Commitment für agile Werte und Arbeitsweisen, erfordert es zugleich, sich fortwährend in einen Austausch zu begeben, wie auch selbst Entscheidungen zu treffen und Verantwortung mit zuübernehmen, um gemeinsam eine Kultur der Wertschätzung und Kommunikation auf Augenhöhe zu verstärken.  

Prozess und Produkt 
Der beschriebene Prozess und die Personen, die für diesen Verantwortung übernommen haben, erhalten mit der agilen Perspektive eine größere Bedeutung als allein, dass ein Produkt fristgerecht erstellt wurde. Eine ähnliche Dualität zwischen Prozess und Produkt ließe sich auch im Bildungsbereich aufmachen. Gerade auf der Mikroebene der Lehre lässt sich dieses in Analogie anschaulich darstellen, wenn es einerseits um formative Betrachtungen von Lernprozessen (z.B. das iterativ produzierte E-Portfolio oder projekt- wie forschungsorientiertes Lernen) oder andererseits um summative Betrachtungen der Ergebnisse an einem Stichtag (z.B. die Klausur oder das Referat) geht. Im Kontext der E-Portfolio-Arbeit wird berechtigterweise kritisch auf den schmalen Grat zu einer mitunter stärker neoliberal motivierten Verlagerung der kompletten Verantwortung für den eigenen Lernprozess und Bildungserfolg auf das Subjekt hingewiesen, wenn die Ambivalenz von Selbst-Techniken reflektiert wird (siehe beispielsweise die Beiträge unter Ansichten in Meyer et al., 2011)8 – eine Diskussion, die sich eine Gestaltung von Lernumgebungen, die auf Transparenz und Selbst- statt Fremdkontrolle setzen, fortwährend auch heute noch stellen lassen muss und beantwortet werden sollte. Diese Diskussion ist auch für agile Lehre zu bedenken. 

So ist es häufig eine Frage der Lehr-, Lern- und Prüfungskultur sowie die damit einhergehende Beziehungsgestaltung, welche Qualität ein Prozess hat und inwiefern dieser zu einem besseren Produkt beitragen kann. In diesem Fall stellt das Produkt aus Perspektive der Subjekte den persönlichen Lernprozess jeder Person oder aus Perspektive der Organisation, die Erfüllung der Anforderungen erfolgreiche Bildungsabschlüsse in der vorgesehenen Zeit zu ermöglichen. 

Agile Lehre  
Agiles Lernen und Studieren ist im Bildungsbereich derzeit der Ankerpunkt über den ein häufiger Zugang zur Agilität passiert – wenngleich der Eindruck entsteht, dass hier das doing agile, also die Frage der Methoden zuerst einmal etwas stärker betont wird. Die agilen Werte und das agile Mindset werden allerdings von den Personen stärker herausgestellt, die, so ein weiterer Eindruck der Diskussion, bereits zuvor schon mit progressiven, offenen und eher lernendorientierten pädagogischen und didaktischen Ansätzen gearbeitet und experimentiert haben. Diese Personen werden vermutlich nicht so viel Neues in agilen Ansätzen und Adaptionen von Scrum für die Lehre entdecken, können sie aber dennoch um neuere Konzepte ergänzen und so die Vielfalt der prozessorientierten Methoden erweitern. Mit Blick auf 21st Century Skills wie auch sogenannte Future Skills kann man sicher argumentieren, dass allein die Kenntnis agiler Arbeitsweisen und Prinzipien eine wichtige Kompetenz an sich darstellt.   

Adaptiert auf den Kontext Educational, ermöglichen agile Methoden für die Lehre und den Unterricht aus didaktischer und erziehungswissenschaftlicher Sicht beispielsweise, dass sich die Akteur_innen mit der Übernahme unterschiedlicher Rollen und Verantwortlichkeiten auseinandersetzen können (ähnlich des offenen Unterrichts). Ebenso bieten sie einen geeigneten Rahmen, um Beziehungskonstellationen mit Blick auf die Machtverteilung zwischen Lehrenden und Lernenden im Lehr- und Lernprozess gemeinsam und offen zu reflektieren. Besonders in der Perspektive crossfunktionaler Teams liegt mit Blick auf nach wie vor heterogene Lerngruppen und ihre Zusammenarbeit im Zuge agiler Lehre die Chance, Fragen von Ungleichheit wie auch tatsächlicher Inklusion und Partizipation im Kontext zu reflektieren. 

Lernkultur statt Fehlerkultur 
Eine Perspektive zwischen Prozess und Produkt lässt auch sehr gut verdeutlichen, warum es charmant anmutet von einer Fehlerkultur zu sprechen und von lessons learned; doch wäre es aus einer subjektorientierten Perspektive und dem Anspruch, dass ein lebenslanges Lernen völlig normal ist, überhaupt nicht nötig von Fehlern oder Fehlerkultur zu sprechen, die zumeist auf extern definierten Kriterien beruhen, sondern von subjektiven Lern- und Bildungsprozessen. Doch das ist bereits eine Frage von Werten und dem Bild von Lernen und den Lernenden, das jeweils vorherrscht. Denn aus bildungstheoretischer Sicht wird mitunter von für eine Person krisenhaften Situationen gesprochen, deren Überwindung dazu beitragen kann, sich persönlich und fachlich zu bilden. Doch diese (Bildungs-)Krise hängt mit der Sozialisation und Biographie jeder Person zusammen – für den einen sind nur 98% des erreichten Ziels bereits eine Krise, während für eine andere Person 80% gut genug sind. Den entsprechenden Betrachtungsrahmen für diese Perspektiven bietet in jedem Fall das Set an Werten, das jede Person mitbringt und das im jeweiligen Bereich oder der Organisation gelegt und kultiviert wird. Agile Werte nehmen hier sowohl die Person in ihrer Entwicklung als auch den Wert einer guten Zusammenarbeit über Partizipation bis darüber hinaus zur Selbstorganisation in den Blick; sie stellen in den vorliegenden Leadership-Perspektiven die Sicht dar, die mit progressiven Verständnissen von Bildung, Lernen und Lehren große Überschneidungen aufweisen. 

Agile (Bildungs-)Organisation 
Auch wenn Agilität im deutschen Bildungsbereich zunehmend erprobt wird und eine konzeptionelle und theoretische Reflexion von Agilität für den (eigenen) Bildungsbereich beginnt, so steht diese Auseinandersetzung erst am Anfang. Diese im Grunde gar nicht so neuen, doch für den Bildungsbereich neu aufgegriffenen Entwicklungen mit Blick auf agiles Lernen und agile Organisationen deshalb noch nicht breiter zu berücksichtigen, könnte rückblickend auch ein Versäumnis sein.  

Am Beispiel der Hochschule soll daher die berechtigte Frage der Passung und Nicht-Passung von Agilität in der Hochschulorganisation vertieft werden – auch weil es sich hier um Einschätzungen zur Passung handelt, die vermutlich so oder in ähnlicher Weise auch an anderen Stellen vorgetragen werden.
So kommt Baecker bereits 2017 mit seinem Beitrag zu der Einschätzung: „Das Stichwort Agilität erwischt die Hochschulen somit gleich doppelt auf dem falschen Fuß. (…) Aber das Feld ist bereit“ (Baecker, 2017, S. 20)9. Baecker vertritt die These, dass Hochschulen zumindest auf eine Form agilen Managements bereits vorbereitet sind, weil sie sie traditionell immer schon betrieben haben (ebd., S.22)9, wenn er agiles Management wie folgt beschreibt und zugleich betont, das unbenommen dessen noch weiterer Handlungsbedarf an Hochschulen bestünde:

„Agilität lässt sich für Zwecke der Hochschule als ein Managementkonzept verstehen, in dem die Anerkennung, Pflege und Entwicklung des Eigensinns von Fakultäten, Lehrstühlen und Mitarbeiterstellen durch die Einrichtung von Rückkopplungen konditioniert und kontrolliert wird, die diesen Eigensinn mit Aufgabenstellungen kombinieren, die von Außen kommen. Die Definition und Moderation dessen, was unter einem Außen verstanden wird, ist die vornehmste Aufgabe der Hochschulleitung, die unter den verschiedenen Kandidaten für dieses Außen, etwa Studienbewerbern, Stand der Wissenschaft und Anfragen von Aufsichtsbehörden, eine Innen bewältigbare Balance finden muss“ (Baecker, 2017, S. 22)9.

Es wird hier bereits deutlich, dass Baecker von einem agilen Management spricht und die Hochschulleitungen adressiert und weniger die Leadership-Perspektive nach vorne stellt. Doch stellt er weiter heraus, dass die Balance zwischen unterschiedlichen vertikal herangetragenen Ansprüchen zwischen Innen und Außen zu halten die dominierende Hauptaufgabe in einer Hochschule darstellt – und hierbei sind klassische Konkurrenzsituationen mit dem (nicht nur internationalen) privaten Markt der Angebote noch nicht einmal berücksichtigt. Inwiefern agile Prinzipien hier anschlussfähig sind und wo genau die attestierten weiteren Handlungsbedarfe für ein spezifisches Agile Leadership im Kontext der Hochschulbildung liegen, bliebe konkret zu prüfen. Von daher stellt sich beinahe schon die Frage, ob nicht gar das Agile, das Dezentrale und die vertikalen Impulse aus der und in die Gesellschaft die eigentliche Tradition der Hochschulen bildeten? Diese Frage stellt sich nicht aus Perspektive von Wilhelm (2019)10, die Agilität in der Hochschule deutlich kritisiert und dabei vom Dilemmata agiler Organisationen spricht, wenn sie das Für und Wider agiler Hochschulen in neun Thesen zusammenführt, von denen hier einige exemplarisch skizziert werden, da sich häufiger zu hörende Argumente darin finden. Sie stellt heraus, dass weder die zunehmende Komplexität noch die Prinzipien der Agilität neu seien und Entwicklungsdynamiken derzeit dramatisiert würden; ebenso läge bisher keine überzeugende Konzeption in der derzeitigen Managementliteratur vor, die für Hochschulen, passend wären: „There is no large organisation and no university that manages without a hierarchy. Organisations and universities are still based, to a considerable extent, on the hierarchy principle and will do so in the future as well“ (Wilhelm, 2019, S. 74)10. Wilhelm spricht sich ganz klar auf Grund von Koordinationsproblemen gegen eine Dezentralisierung von Entscheidungskompetenzen an Hochschulen und für starke Hochschulleitungen aus. Hierbei stellt sie die Ansicht heraus, dass Hochschulen ein Innovationsproblem hätten, bezweifelt allerdings, dass sich dieses via Agilität lösen ließe. Wilhelm merkt schließlich an, dass am Ende von der Idee von Agilität in ihren Augen allein der stärker regionale Bezug in die Umgebung bliebe und sie den Wert in Agilität dort sehe, wo Agilität eine Form sei, „is a mode to create the environment rather than to adapt to it“ (Wilhelm, 2019, S. 76)10. Die Gründe, weshalb eine Statusveränderung kaum möglich erscheine, werden zudem mit der These untermauert, dass agile Organisationen an einem Übermaß an interner Unsicherheit scheiterten, da sie sich trotz hoher Flexibilität stabilisieren wollen würden und somit zu neuen Machtfeldern und gar einem Komplexitätsdilemma führen.  

Mit Blick auf diese kritischen Einschätzungen, die vermutlich erst einmal auf breitere Zustimmung treffen, stellt sich die Frage, woher die Sicherheit genau kommt, dass eine strukturierte Flexibilität, wie sie beispielsweise das Rahmenwerk Scrum ermöglicht, zu Entscheidungsunsicherheiten führt?  

Und ja, Agilität ist weder ein neues Thema, noch ist der Handlungsdruck derzeit gestiegen – vielmehr wird auf diesen bereits seit Jahrzehnten hingewiesen. Die Frage ist daher die nach unserem Zeitgefühl und ob wir uns seit der Einführung der Eisenbahn im passenden Tempo zu den gesellschaftlichen Dynamiken bewegen? Dass gerade die Personen in einer Organisation zwischen Euphorie und Widerständigkeit über die Einführung agiler Prozesse und Arbeitsweisen reagieren werden, ist in der Tat die große Herausforderung einer agilen oder vielmehr einer jeglichen Transformation. Die Frage ist, ob das Bild einer Transformationsreise, also eines längeren gemeinsamen Weges, denn einer Schalterbewegung, ermutigen kann, bildlich gesprochen, die Reisegruppe mit interessanten Erlebnissen und Erfahrungen bei Laune zu halten? Denn eine agile Transformation verfolgt primär eine evolutionäre Grundidee und keine Zerstörerische – ähnlich, wie eine organisationale Ambidextrie die Modi der Exploration und Exploitation nebeneinander ent- und bestehen ließe. Worauf ein Agile Educational Leadership bereits aufbauen könnte, wäre ein Starten vom Status Quo aus und das Setzen auf eine kollektive Veränderungsbereitschaft, wie sie im Zuge der digitalen Transformation der Lehre bereits als zentraler Erfolgsfaktor ausgemacht wurde (siehe Graf-Schlattmann et al., 2020)11. Die Frage ist also, wie wir herausfinden können, ob (Hochschul-)Bildungsorganisationen auch entlang agiler Werte und Prinzipien sowie der Freiheit von Forschung und Lehre ihren gesellschaftlichen Auftrag in Bildung, Forschung und Transfer erfüllen können. 

Zum L in AEL 
Das L in AEL steht für die Übernahme eines Agile Leaderships im spezifischen Kontext der (Hochschul-)Bildung.  

Übernahme von Leadership 
Bei Agile Educational Leadership geht es im Kern um die Übernahme von Leadership – ganz bewusst im Sinne von Leadership vs. Management. Die Form von Leadership hierbei geht nochmals über das bekannte situative Leadership hinaus, weil die Entscheidung der Situationsangemessenheit mit ambidextrem Blick auf die Bedarfe von Exploitation und Exploration vom Standpunkt eines bzw. einer agilen Leader_in mit entsprechend agiler Haltung (Mindset) getroffen wird. Dabei kann die Verantwortung für Entscheidungen von allen beteiligten Personen in ihren Rollen für ihren Bereich übernommen werden – ganz im Sinne der erwähnten Perspektive einer Orientierung auf der Horizontalen entlang Innen und Außen und vis-à-vis. Wichtig ist hierbei, dass ein Leadership verbunden mit der Bereitschaft und Fähigkeit Verantwortung übernehmen zu wollen und zu können unabhängig von einer machtvollen Leitungsfunktion erfolgen kann und sogar sollte. So kann beispielsweise im Hochschulbildungsbereich für die Entwicklung der Bildungsorganisation je ein Leadership für den eigenen Bereich oder einen bestimmten Bereich von den Lernenden wie den Lehrenden bzw. Professor_innen, den Mitarbeitenden in der Administration sowie im sogenannten Third Space wie auch in den unterstützenden Services und nicht zuletzt als Rahmen in den Funktionen von Dekanaten und Hochschulleitungen gelebt und unterstützt werden. Perspektivisch kann sich Agile Educational Leadership zu einer eigenen Variante im Feld transformationaler Führungsstile entwickeln. 

Reifegrad 
Beim Agile Leadership wird hier davon ausgegangen, dass im Grunde jeder und jede diese Form des Leaderships entwickeln kann. Agile Educational Leadership lebt weiter von der Idee und der Annahme, dass jede Person in ihrem Umfeld Leadership übernehmen und sich der (Hochschul-)Bildungsbereich so aus der Mitte heraus entwickeln und perspektivisch verändern könne (siehe exemplarisch die zahlreichen kreativen und sehr engagierten Personen im Bildungsbereich in der Lehre, Administration, Forschung oder in den wissenschaftlichen Unterstützungssystemen, die durch passgenaue Lösungen Prozesse mit weitem Blick und in Abstimmung bedarfsgerecht entwickeln oder verbessern).  

Dahinter steht die erziehungswissenschaftliche Perspektive der persönlichen Entwicklung und des Wachsens über einen (langen) Zeitraums. Im Grunde kann Agile Educational Leadership als Teil des (beruflich orientierten) lebenslangen Lernprozesses von Personen, die im Bildungsbereich tätig sind oder sich für diesen engagieren, betrachtet werden. Gutes Leadership hängt insofern nicht nur von einem Talent oder besonderen Spirit ab, sondern auch vom individuellen Reifegrad und einer Entwicklungsbereitschaft.  

Evolutionäre Reifegradmodelle sind nicht ungewöhnlich (siehe beispielsweise für medienbezogene Kompetenzen den DigCompEdu)12, doch wäre für ein Agile Educational Leadership zu diskutieren, inwiefern es sich hier um ein Stufenmodell entlang von Wachstumsschritten oder ein Kreismodell mit ganzheitlicher Sicht handelt, bei dem die einzelnen noch festzulegenden Handlungs- und Kompetenzbereiche von Agile Leadership für den Bildungsbereich gleichermaßen weiterentwickelt werden. Mit Blick auf eine organisationale Ambidextrie und der Sensibilität wie auch Handlungsfähigkeit für zwei parallel laufende Betriebssysteme der Exploitation (eher Management) und Exploration (eher Leadership) und der damit korrespondierenden personalen Ambidextrie erscheinen weitere Überlegungen mit Blick auf ein ganzheitliches Kreismodell vielversprechend. 

Personale Ambidextrie  
Die personale Ambidextrie ist bisher eher ein Phänomen, das am Rande aufgetaucht ist und doch von der Grundidee her den Kern einer Person ausmacht, die ein agiles Leadership für den (Hochschul-)Bildungsbereich übernimmt. Denn das Aushalten und Austarieren können, das geschickte Agieren sowohl im Kontext der Exploitation als auch in dem der Exploration wie die Fähigkeit für die Bedarfe und Vorteile beider Bereiche für eine Organisation und ihre Prozesse sensibel und offen zu sein, ist eine große Herausforderung und setzt eine hohe Ambiguitätstoleranz voraus. Diese wiederum gekoppelt mit agilen Werten und Prinzipien und der Fähigkeit über einen partizipativen Führungsstil hinaus auch im coachiven und inspirierenden Bereich Fähigkeiten zu besitzen, machen dieses agile Leadership aus. Und wenn man genau hinschaut, ist es etwas, dass viele Personen bereits mitbringen und sich dessen möglicherweise nur noch nicht bewusst sind. Gerade im Hochschulbereich gehört es quasi zum Alltag dazu, von vornherein Forschungsideen kreativ und explorativ zu denken und zu entwickeln, während diese parallel linienförmig und hoch standardisiert auf Antragsformulare und kleinsteiligen Vorgaben adaptiert werden müssen – mitunter zu dem Preis, dass die Innovation oder völlig neue Ideen zu Gunsten der Chance auf Förderzusage verringert wird, weil sie nicht in das bekannte Schema passt. In der Lehre entwickeln zunehmend mehr Lehrende kreative Möglichkeiten der Online-Lehre und übernehmen Verantwortung für ihren Bereich, werden von einer offenen Administration unterstützt, die Wege in den formalen Vorgaben sucht und findet, um Lehre und Prüfungen formal kompatibel entlang der curricularen und administrativen Vorgaben der Prüfungsämter zu ermöglichen. Das und weitere Beispiele prägen bereits den Alltag im (Hochschul-)Bildungskontext und noch weitere Beispiele lassen sich vermutlich umgehend finden.

Mut zur Ambidextrie 
Der Schritt zum selbstverständlichen Einlassen und einem Umgang mit einer dauerhaften Ambidextrie, wie sie für die digitale Transformation steht, ist ein bewusster, doch mitunter weniger großer, als zuerst befürchtet. Denn im Grunde liegen bereits viele Erfahrungen vor, wie eine Linearität und Netzwerkstruktur miteinander arbeiten und sich entwickeln können – auch im Bildungsbereich. Es ist bereits alles da! 

Der Schritt zu einer personalen Ambidextrie erfordert hingegen schon mehr Mut. Denn sich der VUCA-Welt und den dafür eigenen Voraussetzungen und Entwicklungsfeldern bewusst zu werden, ist das Eine, doch sich mit Blick auf den stetigen Wandel im Sinne agiler Werte und Prinzipien zusammen mit einem Team auch (wieder) auf eine persönliche Entwicklungsreise zu begeben, ist das Andere. Dieser Schritt kann für einige Personen nochmals eine Herausforderung sein; es beginnt ja bereits bei Retrospektiven im Team, im kleinen Rahmen über die gemeinsame Zusammenarbeit zu reflektieren und diese gemeinsam zu verbessern, anstelle Zuschreibungen und Schuldzuweisungen zu kultivieren und neben der Sachebene der Aufgabenerledigung die vorherrschende Teamkultur als gegeben zu betrachten. Sich auf Agile Educational Leadership einzulassen, heißt also zugleich, sich mit seiner eigenen personalen Ambidextrie zu beschäftigen und diese weiterzuentwickeln – vereinfacht bezeichnet als Ambidextrie4me. Diese unterstützenden Fähigkeiten sollten es dann ermöglichen, im Rahmenwerk eines Agile Educational Leaderships für den je spezifischen Bildungsbereich ein spezifisches Agile Educational Leadership zu entwickeln und umzusetzen; mit Sinek gesprochen: das What zu erstellen.

Ambidextrie4me entwickeln 
Die Entwicklung der eigenen personalen Ambidextrie kann im Zusammenspiel mit dem Agieren in einer organisationalen Ambidextrie erfolgen und beiläufig passieren. Ebenso wird hier die Idee verfolgt, personale Ambidextrie weiter zu verstehen und zu differenzieren, um sie gezielt zu fördern und ihre Entwicklung unterstützen zu können. 

Allen voran sei hier auf den coachiven Stil verwiesen sowie die besondere Rolle einer coachenden Haltung. Gerade mit dem Verweis, dass viele widersprüchliche Erfahrungen bereits schon erlebt und gemacht wurden, erscheint die Perspektive auf die eigenen Ressourcen und eine Förderung der Hilfe zur Selbsthilfe durch systemisches Coaching ein wichtiger Aspekt bei der Entwicklung einer Ambidextrie4me. Ein auf die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit ausgerichtetes Coaching kann hierbei vielfältige Formen annehmen – angefangen von der Annahme eines Coachingangebots bis hin zu einem Peer-Coaching im Team oder über den Arbeitsbereich hinweg. Aktuell wird in unterschiedlichen Bildungsbereichen wie der Hochschule beispielsweise mit der circlebasierten Methode Working Out Loud (WOL) experimentiert, die sowohl als eine Art von Peer-Coaching, kollegialer Beratung und Etappe lebenslangen (Selbst-)Lernens in Netzwerken gelten kann13.  

Inwiefern allgemein circlebasierte Methoden, d.h. Methoden, bei denen feste Kleingruppen über einen begrenzten Zeitraum entlang einer leitenden Struktur zusammenarbeiten und sich über den eigenen Arbeitsbereich hinweg oder gar über die eigene Organisation hinweg vernetzen, zu einer persönlichen Entwicklung im Sinne einer Ambidextrie4me beitragen können oder es hier alternativer oder noch eigens zu entwickelnder Formate bedarf, wird die Praxis zeigen. 

Die umfassende Förderung der Entwicklung eines Agile Educational Leadership kann dazu beitragen, dass sich starke und zufriedene Teams entwickeln, die sich gegenseitig gut führen bzw. Leadership füreinander und aus der Mitte heraus für die Bildungsorganisation insgesamt übernehmen können und wollen. Und hier schließt sich der Kreis mit Blick auf eine agile Transformation, bei der permanent die Frage zu stellen ist, inwiefern es gerade für alle passt, eine grundsätzliche Zufriedenheit und Aufgeschlossenheit da ist und was jede Person gerade braucht, um den Prozess weiterverfolgen zu können – und zu wollen. Inwiefern am Schluss alle mitgenommen werden können, lässt sich sicher besser beantworten, wenn der jeweilige Ausgangspunkt bekannt ist, an dem die agile Transformationsreise in der jeweiligen Bildungsorganisation beginnt.

Die Machtfrage 
Wenngleich hier die explizite Personenorientierung und die agilen Werte in das Zentrum gerückt werden, bleibt eine wichtige Frage, nämlich wie mit Machtfragen umgegangen werden kann. Hier erscheint es sinnvoll perspektivisch über machttheoretische Fragen wie auch psychologische Fragen der Motivation und sozialpsychologische Perspektiven auf die Mikroebene der Interaktionen sowie deren Verbindungen in einer organisationalen Ambidextrie zu schauen. 

An dieser Stelle ist über die Machtfrage ebenso kritisch die Rolle der Organisation als gestaltbarer Rahmen und vor allem etablierter und gesetzter Rahmen aus organisationssoziologischer Perspektive zu erörtern. 

Nicht zuletzt lädt gerade die kritische Sicht auf den Aspekt der Macht oder des Handelns wider der Werte dazu ein, die großen Perspektiven zu eröffnen und ein Agile Educational Leadership im Zusammenhang und im Widerspruch zwischen Systemtheorie und Konstruktivismus sowie Organisation und Subjekt kritisch zu reflektieren. In diesem Zusammenhang wären ebenso kritisch Möglichkeiten einer integralen Sicht auf die agile Transformation auszuloten sowie evolutionär orientierte Formen der Organisationsentwicklung. Aus kultureller Sicht bleibt mit Blick auf die digitale Transformation und die damit einhergehende Entwicklung spezifischer Kommunikations- und Handlungsweisen zu erkunden, wie sich eine entsprechende Kultur der Digitalität der (Hochschul-)Bildung in diesem Zusammenhängen herausbildet. 

Insofern bietet der Zugang über die Frage, wo genau die Macht im Agile Educational Leadership verbleibt, ein zentraler Ansatzpunkt einer theoretischen Betrachtung – mit Fokus auf eine klare Lösungsorientierung für die Entwicklung des (Hochschul-)Bildungsbereichs. 

Es ist bereits alles da! – Ausblick auf das Rahmenwerk

Das Rahmenwerk Agile Educational Leadership ist in der Entstehung. Ein MVP als Version 1.0 liegt hiermit vor. Die vorliegenden Ausführungen zeigen in den einzelnen Kapiteln wichtige Perspektiven auf, die ein Agile Educational Leadership fundieren. Es wird auf bestehende Konzepte und ihre Potenziale oder konkreten Elemente zur Adaption hingewiesen wie erste theoretische Anschlussmöglichkeiten aufgezeigt und entsprechende Denkrichtungen und kritische Reflexionslinien angeregt. Doch im Grunde sind die Elemente eines Rahmenwerks Agile Educational Leadership nicht neu. Es stellt sich weiterhin lediglich die Frage, was weiterhin vertieft, was ergänzt oder was verworfen werden sollte und wie der Re-Mix weiterhin gestaltet sein soll.

Neu mag in diesem Zusammenhang sein, dass ausgehend von einer bildungswissenschaftlichen Perspektive, das Bestreben vorliegt, Leadership für eine Handlungsfähigkeit in komplexen Kontexten und ausgehend vom Status Quo von den eigenen transdisziplinären Bedarfen des Bildungsbereichs zu denken. Als Inspiration dient die Perspektive der personalen Ambidextrie.

Mutig mag sein, zum integrativen, lösungsorientierten Handeln jenseits von Zuständigkeiten und Machtpositionen hinzuweisen – und daran zu erinnern, dass jede Person in ihrem Bereich zu jeder Zeit Leadership übernehmen kann. Mutig ist mitunter auch, einen anderen Weg für den (Hochschul-)Bildungsbereich als den bisherigen vorzuschlagen und den Ansatz für ein transdisziplinäres Rahmenwerk Agile Educational Leadership zur gemeinsamen Beratung und Abstimmung zu stellen – und derweil an der Begründbarkeit und Machbarkeit weiter zu denken und zu forschen. Denn es ist zwar Vieles da – doch es ist erst ein erster Schritt gemacht, dem noch weitere folgen können, um aus dem MVP ein fertiges Produkt bzw. in diesem Fall ein Rahmenwerk vorzulegen. 

Agile Educational Leadership kann derzeit als Sammlung an Werten, Prinzipien und Praktiken für eine jeweilige spezifische Bildungspraxis herangezogen und in diesem Rahmen konkret und passend entwickelt werden. Derzeit verbindet die Version 1.0 des MVP für den spezifischen Bereich der Bildung adaptierte Konzepte, Ansätze und Methoden aus unterschiedlichen Disziplinen und der Praxis mit Blick auf das Ziel eines transdisziplinären Rahmenwerks Agile Educational Leadership

Mit Agile Educational Leadership möchte ich lösungsorientiert zum Neu-Denken und schrittweise Anders-Machen aus dem Bildungssystem von innen heraus ermutigen. 

Letzte Aktualisierung am 02.08.2021 (Changelog)

 

  1. Robinson, K. (Autor). (2017). An Interview with Sir Ken Robinson [Podcast]. Los Angeles: Art Ed Radio. []
  2. Bildlizenz: https://de.freepik.com/psd/mockup”>Mockup PSD erstellt von Vectorium – de.freepik.com; Buch-Cover by Kerstin Mayrberger, Lizenz CC BY 4.0 []
  3. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Minimum_Viable_Product&oldid=208755859 []
  4. Ries, E. (2009, 3. August). Minimum Viable Product: a guide. Abgerufen am 30.07.2021, von http://www.startuplessonslearned.com/2009/08/minimum-viable-product-guide.html []
  5. siehe https://www.scrum.org/resources/what-is-scrum/ []
  6. siehe https://www.trans4mation.coach/trans4mation-approach/ []
  7. https://scrumguides.org/revisions.html []
  8.  Meyer, T., Mayrberger, K., Münte-Goussar, S. & Schwalbe, C. (Hrsg.). (2011). Kontrolle und Selbstkontrolle. Zur Ambivalenz von ePortfolios in Bildungsprozessen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. []
  9. Baecker, D. (2017). Agilität in der Hochschule. Die Hochschule: Journal für Wissenschaft und Bildung, 26(1), 19–28. [] [] []
  10. Wilhelm, E. (2019). The university as an open platform? : a critique of agility. Beiträge zur Hochschulforschung. 41(3), 66-79. [] [] []
  11. Graf-Schlattmann, M., Meister D. M., Oevel G., & Wilde M. (2020). Kollektive Veränderungsbereitschaft als zentraler Erfolgsfaktor von Digitalisierungsprozessen an Hochschulen. In: S. Hofhues, M. Schiefner-Rohs, S. Aßmann & T. Brahm (Hrsg.). Zeitschrift für Hochschulentwicklung, 15 (1). 19-39. https://zfhe.at/index.php/zfhe/article/view/1302 []
  12. https://ec.europa.eu/jrc/en/digcompedu []
  13. siehe beispielsweise https://hochschulforumdigitalisierung.de/de/blog/working-out-loud-hochschule oder für den größeren Bereich https://workingoutloud.com/blog/wol-for-education-an-update []
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